HINTERGRUND

"Eine Grippe-Pandemie ist gefährlicher als Bioterrorismus"

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Von Karlheinz Schneider-Janessen und Wolfgang Geissel

Europa ist auf eine Pandemie mit dem Vogelgrippe-Virus nicht vorbereitet, hat Professor Albert Osterhaus in seinem Festvortrag zur Eröffnung des 8. Kongresses für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Hamburg gewarnt. Dabei werde diese Pandemie mit Sicherheit kommen, so der Virologe an der Medizinischen Fakultät der Erasmus-Universität Rotterdam in den Niederlanden. Die Frage sei nur: Wann.

Osterhaus berichtete, daß in Asien nicht nur Geflügel, sondern inzwischen auch Zugvögel vom Vogelgrippevirus H5N1 befallen sind. Die wilden Vögel können die Erreger nun besonders rasch verbreiten. Schon länger war bekannt, daß in Thailand Tiger und Leoparden in zoologischen Gärten an Vogelgrippe gestorben waren, nachdem man sie mit infizierten Hühnern gefüttert hatte. Als man Raubkatzen dann aber kein Geflügel mehr zu fressen gab, steckten sie sich schließlich untereinander an.

Die meisten Menschen haben sich bisher bei infiziertem Geflügel angesteckt. Würde aber eine leicht von Mensch zu Mensch übertragbare Mutante des Virus entstehen, würde dadurch höchstwahrscheinlich eine Pandemie ausgelöst.

Dabei ist eine hohe Sterberate absehbar: Von den über 90 gemeldeten Menschen mit Vogelgrippe sind mehr als 50 gestorben. "Der Hauptbioterrorist der Welt ist die Natur", sagte Osterhaus dazu mit einem Seitenhieb auf die angestrengten Bemühungen der Vereinigten Staaten von Amerika, sich vor einem bioterroristischen Anschlag zu schützen.

Osterhaus ließ keinen Zweifel daran, daß es zu Beginn einer Pandemie keinen Impfstoff gegen das Pandemievirus geben wird. Auch daß ein solches Virus dem H5N1-Stamm angehöre, könne man noch nicht sicher sagen. Bis bei einer Pandemie ausreichende Mengen an Impfstoff entwickelt und produziert werden können, vergehen aber Monate.

Einzige Therapieoption bei Erkrankungen sind daher Neuramidasehemmer wie Oseltamivir (Tamiflu®) vom Unternehmen Hoffmann-La Roche. Diese Substanz soll nach Angaben des Robert-Koch-Instituts auch in Deutschland für den Notfall beschafft werden.

Professor Bernhard R. Ruf von der 2. Klinik für Innere Medizin am Städtischen Klinikum Leipzig betonte auf dem Kongreß, daß bei einer Grippe-Pandemie mit 160 000 Toten allein in Deutschland zu rechnen sei. "Es könnten auch mehr sein", sagte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung", wobei er betonte, daß bei einer ausreichenden Bevorratung mit dem Neuramidasehemmer die Sterberate mindestens halbiert werden könne.

Die Beschaffung des Medikaments für alle Bundesbürger koste aber mehr als eine halbe Milliarde Euro. Das Geld müßte von den Bundesländern aufgebracht werden. Bei der schlechten Finanzlage der Länder sei das eine schwierige Situation. Auch der von Wissenschaftlern bereits ausgearbeitete bundesweite Pandemieplan harre noch der politischen Umsetzung.



STICHWORT

Vogelgrippe-Virus

Vogelgrippe-Viren vom Subtyp H5N1 wurden erstmals 1997 in Hongkong von Menschen isoliert. Damals erkrankten 18 Menschen, von denen sechs starben. Der Ausbruch wurde gestoppt, nachdem damals Millionen Hühner in der Stadt getötet worden waren. Inzwischen hat sich das Virus aber in Geflügelbeständen in vielen Ländern Südostasiens festgesetzt. Bisher haben sich zwar nur wenige Menschen infiziert, doch gehen Forscher davon aus, daß sich das Virus im Lauf der Zeit besser an den Menschen anpassen wird. Erste Übertragungen von Mensch zu Mensch sind inzwischen belegt. Impfstoffe gegen Vogelgrippviren sind in der Entwicklung. Bei einer Pandemie würde die Entwicklung und Produktion ausreichender Mengen jedoch viele Monate dauern. Einzige Therapieoption sind die Neuraminidasehemmer. (eis)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Noch ist Zeit, sich vorzubereiten

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