Virusinduzierte Enzephalopathie

MHH-Forscher entwickeln Therapie gegen seltene Enzephalopathie

Gegen eine sehr seltene, oft tödliche Viruserkrankung haben Forscher aus Hannover eine wirksame Therapie entwickelt. Patienten mit virusinduzierter Enzephalopathie (PML) wurden dabei Spender-T-Zellen transplantiert.

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Professorin Britta Eiz-Vesper, Professor Thomas Skripuletz und Privatdozentin Dr. Franziska Hopfner (v.l.) mit Blutproben im Labor für T-Zell-Routinekontrolle des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Professorin Britta Eiz-Vesper, Professor Thomas Skripuletz und Privatdozentin Dr. Franziska Hopfner (v.l.) mit Blutproben im Labor für T-Zell-Routinekontrolle des Instituts für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

© Karin Kaiser/MHH

Hannover. Das John-Cunningham-(JC-)Virus infiziert 70 bis 90 Prozent aller Menschen weltweit, ohne dass die meisten es überhaupt bemerken. Das Erbgut des Erregers schlummert jedoch im Körper, und bei geschwächtem Immunsystem oder immunsuppressiver Therapie, kann sich das Virus reaktivieren und vermehren. Es wandert dann über die Gefäße ins Zentralnervensystem und verursacht eine sehr seltene aber schwere Enzephalopathie, die häufig binnen weniger Wochen zum Tod führt.

Gegen diese sogenannte progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) gab es bisher keine Therapie, erinnert die Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) in einer Mitteilung. Bisher wurden bei Betroffenen mit immunsuppressiver Therapie die Immunsuppressiva abgesetzt. Es bestand dann die Chance, dass sich die PML nicht weiterentwickelt und möglicherweise ausheilt. Damit wurde allerdings der Verlust des Spenderorgans riskiert.

Ausbreitung des John-Cunningham-Virus eingedämmt

Ein interdisziplinäres Team der MHH hat jetzt in Heilversuchen bei mehreren Patienten die Ausbreitung des Virus im Körper eingedämmt. Die Betroffenen wurden dabei mit spezifischen T-Lymphozyten behandelt, die von gesunden Menschen mit JC-Virus-Befall stammten. Werden solche spezifischen T-Lymphozyten in den Körper von PML-Patienten transfundiert, neutralisieren sie dort das JC-Virus und der Zustand der Patienten stabilisiert sich (Neurology: Neuroimmunology & Neuroinflammation 2021; online 17. Mai).

„Das funktioniert allerdings nur dann ohne Probleme, wenn die Zellen der Spender HLA-kompatibel sind“, erklärt Studienautorin Professorin Britta Eiz-Vesper, Immunologin am MHH-Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering in der Mitteilung.

Schwer abwehrgeschwächte Patientinnen behandelt

„Wir haben für unsere Publikation die erfolgreiche Behandlung einer beidseitig lungentransplantierten Patientin und einer weiteren Patientin mit schwerer entzündlicher Erkrankung des Immunsystems mit den BK-Virus-spezifischen T-Zellen beschrieben“, fügt Erstautorin Privatdozentin Dr. Franziska Hopfner hinzu. In beiden Fällen führte eine dreimalige Gabe von anti-JC-aktiven Spender-T-Lymphozyten zu einer deutlichen Verbesserung des jeweiligen Gesundheitszustandes.

„Das Gehirn erholte sich erstaunlich schnell, und die Viruslast im Nervenwasser nahm deutlich ab“, so die Neurologin. Ein Jahr nach der Behandlung seien zwar noch Narben in den betroffenen Hirnregionen sichtbar, aber die Patientinnen seien weitgehend stabil.

Einziges Register für T-Zell-Spender in Deutschland

Das MHH-Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering ist eines der führenden Labore zur Herstellung virus-spezifischer T-Zellen. Auch gibt es dort deutschlandweit das einzige T-Zellspender-Register, in dem sich geeignete Spender schnell auffinden lassen. „Wir registrieren bei unseren Blutspendern nicht nur die HLA-Merkmale der Blutzellen, sondern bestimmen gleichzeitig die Anzahl spezifischer T-Zellen gegen unterschiedliche Virustypen“, erklärt Eiz-Vesper in der Mitteilung. So können wirksame und auch verträgliche T-Zellen von mit den Patienten nichtverwandten Spendern für eine Zellgabe verwendet werden.

In dem Institut wird Spenderblut so stimuliert, dass sich die gesuchten T-Zellen herausfiltern lassen. Sie werden dann entweder direkt verabreicht oder für eine spätere Anwendung eingefroren. „In diesem Fall haben wir nach T-Zellen gegen das eng mit dem JC-Virus verwandte BK-Virus gesucht, weil dieses den Anforderungen an die Arzneimittelherstellung entspricht und diese Leukozyten beide Virusarten gleichermaßen erkennen und ausschalten können.“

Inzidenz bisher unterschätzt?

Inzwischen wurden drei weitere PML-Patienten erfolgreich an der Klinik therapiert. „Damit sind wir auf dem besten Weg von einer nicht-behandelbaren Erkrankung zu einer erfolgreichen PML-Therapie“, betont Letztautor Professor Thomas Skripuletz. Man habe jetzt zum ersten Mal einen Ansatz, ohne größere Nebenwirkungen das Virus direkt zu bekämpfen.

Das sei umso wichtiger, als die Erkrankung vermutlich zu selten im Blick der behandelnden Ärzte stehe und daher möglicherweise viel häufiger vorkomme als angenommen. „Jedenfalls gibt es immer mehr immunsuppressive Behandlungen bei neurologischen Erkrankungen, was eine Hirninfektion durch das JC-Virus begünstigt“, so der Neurologe.

Das MHH-Team möchte nun den Wirknachweis der Therapie in einer klinischen Studie erbringen. Dann könnte aus der Einzelfall-Behandlung eine für alle PML-Patienten zugelassene Therapie werden. (eb/eis)

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