Gonarthrose: Hilfsmittel zur Therapie

Große Operationen hinauszuschieben und eine akzeptable Lebensqualität zu erreichen sind die wesentlichen Ziele der konservativen Gonarthrose-Therapie.

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NEU-ISENBURG. Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist ein Baustein in der breiten Palette konservativer Behandlungsmöglichkeiten bei Patienten mit Gonarthrose (GA). Die symptomatische orthopädietechnische Behandlung von Patienten mit (GA) in frühen oder mittleren Stadien der Erkrankung verfolgt das Ziel, das Gelenk zu entlasten, zu führen und durch Kompression gegebenenfalls eine Ergussbildung zu vermeiden.

Ein primäres Ziel ist es, die Last auf den Gelenkflächen während des Gangzyklus umzuverteilen. Typischerweise ist das mediale Kniegelenkkompartiment häufiger als das laterale von der Arthrose betroffen. Dies resultiert unter anderem aus einem externen Varusmoment während der Standphase des Gangzyklus.

Der Schwerpunkt der Gesamtkörpermasse liegt medial des Kniegelenks. Hinzu kommen adduzierende Momente, verursacht insbesondere durch die Adduktorenmuskulatur, deren Kraftwirkungen jene der Abduktoren überwiegen.

Daher liegt die Wirklinie der Gelenkresultierenden nicht genau in der Mitte des Gelenks, sondern sie ist nach medial verschoben. 70-75% der Gesamtbelastung durch das Körpergewicht wirken daher in der Standphase des normalen Gangzyklus über das mediale Kniegelenkkompartiment.

Bei rezidivierenden Ergüssen und Synovialitiden hat sich die Verordnung von Kniebandagen bewährt, berichtet Professor Bernhard Greitemann vom Rehaklinikum Bad Rothenfelde, Klinik Münsterland, in Bad Rothenfelde (Orthopädie & Rheuma 2013; 16(5): 22).

Es handelt sich meist um Strickgewebe aus elastischem Material, welche die Kniegelenkregion flächig komprimieren. Viele Patienten melden als Rückkopplung einer verbesserten "Halt" des Kniegelenks.

Dieser biomechanisch nicht zu erklärende Effekt kommt möglicherweise durch eine flächige Stimulation der Propriozeption zustande. Eingebrachte Silikonpads, Silikonringe oder ähnliche Materialien verbessern die Führung der Kniescheibe.

Elastische Kompression

Kniebandagen aus Gestrickkombinationen mit dreidimensionalen querelastischen Gestricken verringern durch elastische Kompression die Ergussbildung, sie wärmen ein wenig und geben den Patienten über die Propriozeption das Gefühl einer besseren Gelenkstabilität.

Geeignet sind sie somit vor allem bei Chondromalazien, besonders bei retropatellaren Knorpelschäden - dann aber ist ein entlastender Silikonring nötig.Weitere Indikationen sind Gonarthrosen ohne oder mit rezidivierenden Gelenkschwellungen, rheumatisch bedingte Arthritiden sowie kniegelenknahe Tendomyopathien. Die Schmerzen, das Steifigkeitsgefühl und die physikalische Funktion des Kniegelenks lassen sich verbessern.

Kniebandagen mit eingearbeiteten seitlichen Führungsgelenken wirken bei unikompartimentellen Arthrosen allenfalls gering stabilisierend und entlastend, schreibt Greitemann. Die Fixation der Komponenten im elastischen Gewebe mit ungenauer und wechselnder Lokalisation am Gelenk schränkt den Effekt zusätzlich ein.

Auf Patellarsehnenbandagen mit vorderer Pelotte reagieren erfahrungsgemäß einige Patienten mit vorderen Knieschmerzen oder mit Ansatztendinosen des Ligamentum patellae sehr positiv, so der Experte aus Bad Rothenfelde.

Probleme können durch schmerzhaften Druck an der Patellaspitze oder dorsale Strangulation entstehen. Daher ist auf die richtige Positionierung der Bandage zu achten. Am ehesten sind Patellarsehnenbandagen bei jungen Patienten mit sportlichen Ambitionen angezeigt.

Stabilisierung und Entlastung

Im Zuge hin zur Entwicklung einer medialen GA wird die progrediente Knorpeldegeneration zunehmend von einer Beugekontraktur im Kniegelenk begleitet.

Dies verstärkt wiederum die Belastung, besonders am medial-dorsalen Tibiaplateau - der Circulus vitiosus aus fortschreitender Degeneration und Fehlhaltung ist in Gang gesetzt.

Mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln soll nun die Gelenkkraftresultierende vom geschädigten auf noch intakte Kompartimente verlagert werden, um die Schmerzen zu reduzieren und das Fortschreiten der Arthrose zu verlangsamen.

Darüber hinaus sind nach den Ausführungen von Greitemann aber noch weitere Ziele anzustreben:

  • Das kranke Gelenk muss mechanisch stabilisiert werden.
  • Bewegungen sollen geführt ablaufen.
  • Überlastete Gelenkanteile sind zu entlasten.
  • Die gelenkführende Muskulatur soll stimuliert und die Propriozeption gefördert werden.

Erreichen lassen sich diese Ziele mithilfe von Orthesen, Schuhzurichtungen und/oder Gehhilfen. Bei den Orthesen lassen sich als wesentliche Konzepte unterscheiden:

  • Orthesen (meist Hartrahmenorthesen), die bei bestehenden Instabilitäten äußere Krafteinwirkungen neutralisieren sollen.
  • Gonarthroseorthesen, die nach dem Drei-Punkt-Prinzip ein Varus- oder Valgusmoment auf das Kniegelenk ausüben, um das jeweils geschädigte Kompartiment zu entlasten.

Allerdings ist dabei die ausgesprochen komplexe Biomechanik des Kniegelenks mit seinem Rollgleitmechanismus zu berücksichtigen, die selbst mit polyzentrischen Gelenkkonstruktionen der Orthesen kaum zu imitieren ist. Zudem ist bei degenerativen Schäden sowohl das Rollgleitverhalten als auch die propriozeptive Steuerung gestört.

Ein weiteres wesentliches Problem ist das Verrutschen von Knieorthesen, wenn sie unzureichend an den Weichteilmantel angepasst sind. Dann muss ständig rejustiert und refixiert werden. Es ist daher unabdingbar, dass der Patient bereits im Vorfeld der Versorgung mit einer Orthese genau über deren Sinn und exakte Positionierung unterrichtet wird.

Hersteller von Orthesen bieten zunehmend Konstruktionen mit elastischem Gestrick an, die flächig und bequem am Kniegelenk sitzen und weniger verrutschen. Bei Hartrahmenorthesen werden darunter gelegte textile Materialien als "Stopper" benutzt.

Beim einzelnen Patienten ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Orthese an keiner Stelle scheuert und in der Kniekehle keine Strangulation stattfindet. Letzteres könnte gerade bei den älteren Patienten die Thrombosegefahr steigern.Die Passform von Orthesen ist also von erheblicher Bedeutung.

Hartrahmenorthesen (Supported Knee Braces) kommen vor allem bei Kreuzband-, Varus- oder Valgusinstabilitäten und in der postoperativen Rehabilitation in Betracht. Weniger gut wirken sie im Vergleich zu klassischen Gonarthroseorthesen auf die Schmerzen.

Konfektionierte Hartrahmenorthesen werden oft in sehr kurzen Versionen angeboten, weil sie den Patienten weniger beeinträchtigen. Das reduziert jedoch auch die Hebelarme und limitiert somit die biomechanische Wirkung, so Greitemann.

Gonarthroseorthesen arbeiten nach dem Drei-Punkt-Prinzip und können entweder varisierende oder valgisierende Effekte auf die Tragachse des Kniegelenks ausüben. Auch bei den Gonarthroseorthesen mit Dreipunkt-Rahmenkonstruktionen und einstellbaren Winkelpositionen erweisen sich kurze Hebelarme teilweise als problematisch.

Es sind aber Langversionen erhältlich, die biomechanisch sinnvoller erscheinen.Bei schwieriger Weichteilsituation sind individuell hergestellte Orthesen vorzuziehen. Eine Ausnahme ist die Sof Tec® OA Orthese, die primär als ACL-Orthese entwickelt worden ist.

Sie enthält außer einer speziellen Gestrickführung mit zirkulärer Kompression zusätzlich stabilisierende Elemente. Vergleiche zu starren Rahmenorthesen in Studien fielen positiv aus. Die flächige Auflage verhindert das Verrutschen, der Tragekomfort und die Kompressionswirkung sind vorteilhaft.

Kniegelenkorthesen können bei unikompartimenteller Gonarthrose sowohl die subjektive Stabilität erhöhen als auch die Beschwerden und damit den Schmerzmittelverbrauch deutlich reduzieren.

Diese Effekte wurden in verschiedenen Studien mit Ganganalysen sowie unter anderem auch in einem Cochrane-Review aus dem Jahre 2005 nachgewiesen. Sie erhöhen die Mobilität und damit auch die Lebensqualität der Patienten, beeinflussen aber nicht die zugrunde liegende Erkrankung.

SchuhzurichtungenSchuhzurichtungen dämpfen den Auftritt beim Gehen durch Absatzzurichtungen und entlasten das erkrankte Kniegelenkkompartiment durch Innen- oder Außenranderhöhungen am Schuh. Die Kostenübernahme für Pufferabsätze lehnen einige Krankenkassen gern mit dem Hinweis ab, das "biologische System" dämpfe besser als solche Absätze oder Dämpfungselemente.

Das gilt jedoch allenfalls für Gesunde oder Sportler. Bei einem gestörten und nicht mehr oder nur noch eingeschränkt funktionsfähigen biologischen System sind Pufferabsätze sicher geeignet, um die proximalen Gelenke zu entlasten.

Der Evidenzgrad für diese Empfehlung ist allerdings in der Tat gering. Schuhinnen- oder -außenranderhöhungen müssen immer sowohl an der Sohle als auch am Absatz erfolgen. Die isolierte Erhöhung zieht eine Torsion des Schuhs und damit verstärkten Verschleiß nach sich.Bei medial betonter Gonarthrose wird der Außenrand erhöht, bei Valgusarthrose der Innenrand.

Erfahrungsgemäß empfinden Patienten bereits Erhöhungen von 0,5 cm als zu hoch. Man kann sich mit 0,3 cm einschleichen und gegebenenfalls auf 0,4 cm erhöhen. Die Zurichtungen werden individuell an die Sohle angepasst.

Für die Außenranderhöhungen bei medial betonter Gonarthrose liegen Studien vor, die eine deutliche Reduktion des Schmerzmittelverbrauchs sowie verminderte Druckspitzen im medialen Kompartiment belegen.

Das Knievarusmoment beim Laufen nimmt deutlich ab, wie Ganganalysen ergeben haben.In einer Metaanalyse war allerdings kein nachweisbarer Effekt auf die Arthroseentwicklung festzustellen. Demnach sind Schuhzurichtungen als rein symptomatische Behandlung zur Schmerzlinderung einzustufen, welche die Mobilität der Patienten verbessern soll.

GehhilfenGehhilfen sind ebenfalls wichtige Hilfsmittel bei unikompartimenteller Arthrose, denn sie erhalten die Mobilität der Patienten trotz der bestehenden Symptomatik. Gehstöcke oder Unterarmgehstützen werden meist einseitig genutzt, um die untere Extremität auf der Gegenseite der hauptbetroffenen Seite zu entlasten.

Zu beachten ist dabei, dass die Patienten meist zusätzlich an einer Polyarthrose der oberen Extremitäten leiden. Spezielles Augenmerk sollte dem Daumensattelgelenk gelten, das durch gepolsterte und/oder anatomisch geformte Griffe geschützt respektive entlastet werden kann. (eb)

Dieser Bericht basiert auf der Originalarbeit von Professor Bernhard Greitemann vom Rehaklinikum Bad Rothenfelde, Klinik Münsterland, in Bad Rothenfelde (Orthopädie & Rheuma 2013; 16(5): 22).

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