Influenza

Grippeimpfung: Oft fehlt den Patienten das Risikobewusstsein

Nur knapp 35 Prozent der über 60-Jährigen lassen sich in einer normalen Grippesaison gegen Influenza impfen. Das ist viel zu wenig. Eine Rolle spielen dabei Mythen über Nebenwirkungen.

Von Robert Bublak Veröffentlicht:
Senior wird gegen Influenza geimpft

Senior wird geimpft: Quadrivalente Influenza-Impfstoffe empfiehlt die STIKO seit vier Jahren (Symbolbild mit Fotomodell).

© Melinda Nagy / stock.adobe.com

Jena. Mag sein, dass in Zeiten von COVID-19 ein so altbekanntes Krankheitsbild wie die Influenza wenig Schrecken verbreitet. Gerechtfertigt ist das nicht. Schwere Wellen, wie 2012/2013, führen zu einer Übersterblichkeit von immerhin 20 000 Todesfällen, und wenn die Welle katastrophale Ausmaße annimmt – wie das etwa vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe der Fall war – kann sich die Exzessmortalität auf mehrere 100 000 Tote summieren.

Ein Team um Dr. Anja Kwetkat vom Universitätsklinikum Jena hat sich ausführlich mit dem Thema Influenza auseinandergesetzt (Internist 2021; 62:801–806). Die Ärztinnen und Ärzte weisen darauf hin, dass die Influenza unter den Infektionskrankheiten die Erkrankung mit der höchsten bevölkerungsbezogenen Mortalität ist. „Etwa 90 Prozent der Todesfälle entfallen auf die Altersgruppe der über 60-Jährigen“, betonen die Geriater. Die Infektionsraten sind enorm: Jährlich infizieren sich zwischen 5 und 20 Prozent der Bevölkerung. Das ließe sich vermindern, denn verfügbare Vakzinen gibt es genug.

WHO-Impfquotenziel: 75 Prozent

Laut Zahlen von 2016/2017 nehmen aber nur knapp 35 Prozent der Menschen ab 60 Jahren die Grippeimpfung in Anspruch. Andernorts lässt man sich den Schutz weniger leicht entgehen. In den USA liegt die Impfrate für Influenza bei 69, im Vereinigten Königreich bei 72 und in Südkorea bei 85 Prozent. Die gemäß der Zielvorgabe der WHO nötige Impfquote von 75 Prozent sei in Deutschland aber noch nie erreicht worden, so Kwetkat und ihr Team.

Influenza ist unter den Infektionskrankheiten die Erkrankung mit der höchsten bevölkerungsbezogenen Mortalität. Etwa 90 Prozent der Todesfälle entfallen auf die Altersgruppe der über 60-Jährigen.

Dr. Anja Kwetkat und Kollegen, Universitätsklinikum Jena

Seit nunmehr vier Jahren empfiehlt die Ständige Impfkommission generell quadrivalente Impfstoffe. „Sie enthalten die Antigene von zwei Influenza-A-Stämmen (A(H3/N2) und A(H1/N1)) sowie zwei Influenza-B-Stämmen (Victoria- und Yamagata-Linie)“, berichten Kwetkat und ihr Team. Allerdings ist die Impfeffektivität gerade bei Älteren auf 50 bis 60 Prozent reduziert, verglichen mit 70 bis 90 Prozent bei unter 65-Jährigen. Ursache ist die Immunseneszenz, die andererseits auch für die erhöhte Anfälligkeit bei Älteren und zu verringerter Elimination des Erregers beiträgt.

13 zugelassene Influenza-Vakzinen

Das Paul-Ehrlich-Institut führt eine Liste mit insgesamt 13 zugelassenen Influenzavakzinen, zehn davon mit Stammanpassung für die Grippesaison 2021/2022. In den vergangenen Jahren ist eine Reihe neuer Impfstoffe entwickelt worden. Ziel war es, die Wirksamkeit besonders in der vulnerablen Gruppe der Älteren zu erhöhen. Einige Vakzinen haben sich Kwetkat und Mitarbeiter genauer angesehen:

  • Adjuvantierte ei-basierte Subunit-Vakzine, Fluad® Tetra

Diese Vakzine enthält das Adjuvans MF59, das stärker wirkt als aluminiumsalzhaltige Adjuvanzien. Es soll neben der Antikörperproduktion auch eine T-Zell-vermittelte Immunantwort stimulieren (Biomolecules 2019; 9(8):340). Der Impfstoff ist ab einem Alter von 65 Jahren zugelassen. Der Impfstoff darf nicht subkutan verabreicht werden, weil MF59 bei subkutaner Applikation starke Lokalreaktionen verursachen kann.

  • Hochdosierte ei-basierte Spaltvakzine, Efluelda®

Mit 60 μg liegt der Antigengehalt dieser Vakzine viermal höher als die standardmäßigen 15 μg. Zugelassen ist der Impfstoff in der Europäischen Union ab dem 60. Lebensjahr. Ab diesem Alter empfiehlt auch die Ständige Impfkommission die Hochdosis-Impfung: „Jährliche Impfung im Herbst mit einem inaktivierten quadrivalenten Hochdosis-Impfstoff mit aktueller von der WHO empfohlener Antigenkombination“, heißt es im Epidemiologischen Bulletin (34/2021).

  • Säugerzellkultur-basierte Subunit-Vakzine, Flucelvax® Tetra

Optimierte Zellkulturtechniken sollen verhindern, dass Antigene negativ verändert werden. Denn bei der Vermehrung in Hühnereiern kommt es vor, dass Mutationen auftreten und die Antigenität und somit die Wirksamkeit der Impfstoffe gegenüber den zirkulierenden Virustypen verringert wird. Zugelassen ist die Vakzine ab einem Alter von zwei Jahren.

  • Insektenkultur-basierter rekombinanter Impfstoff mit Baculovirusvektor, Supemtek®

„Bei dem rekombinanten Impfstoff erfolgt durch Vermehrung eines rekombinanten Baculovirusvektors in Insektenzellkultur die Expression des HA-Antigens der Influenzaviren“, erläutern Kwetkat und Kollegen. Der Antigengehalt beträgt 45 μg, zugelassen ist die Vakzine ab 18 Jahren. Die Markteinführung ist für kommende Saison vorgesehen. Laut Auskunft des Unternehmens Sanofi Pasteur ist Supemtek® derzeit nicht auf dem deutschen Markt erhältlich.

Erste Bewertung der neuen Vakzinen

In einem technischen Report berichtet das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) über eine signifikant, obzwar nur geringfügig bessere Wirkung des Hochdosisimpfstoffs. Für andere neue Vakzinen ist die Datenlage noch mager, eine große Zahl relevanter Studien ist noch nicht abgeschlossen.

35%

der über 60-Jährigen nimmt in Deutschland die Influenza-Impfung in Anspruch (Daten aus 2016/2017). Die Zahl stagniert seit Längerem. Im vergangenen Jahr dürfte die Zahl aufgrund der COVID-Pandemie allerdings höher ausgefallen sein: Laut Bundesgesundheitsministerium wurden in der Saison 2020/2021 doppelt so viele Impfdosen verabreicht wie im Jahr zuvor.

Es nützen allerdings die modernsten und besten Impfstoffe nichts, wenn die Menschen, für die sie entwickelt wurden, die Spritze scheuen. Die Gründe für die Skepsis klingen in COVID-19-Zeiten nur allzu bekannt: Die Wirkung überzeuge nicht, das Vertrauen fehle, und um die unerwünschten Wirkungen kreisen Mythen wie jener, die Impfung löse die Grippe selbst aus.

Um diesem Missstand abzuhelfen, setzen Kwetkat und ihr Team auf „verbesserte Aufklärung, niederschwelliger Impfzugang, Abbau von Hürden für impfende Ärzte, Weiterentwicklung der Impfstoffe“. Auch diese Vorschläge hören sich inzwischen recht vertraut an.

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