Insulinmangel im Hirn beeinträchtigt Gedächtnis

Typ-2-Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko für kognitive Defizite und Demenz. Daran sind wohl postprandiale Blutzuckerspitzen beteiligt. Aber auch Insulinmangel im Gehirn hat offenbar eine große Bedeutung, besonders bei Insulinresistenz. Denn dann ist der Transport des Hormons ins Gehirn verringert.

Von Helga Brettschneider Veröffentlicht:

Das Risiko einer Verschlechterung kognitiver Funktionen ist für Typ-2-Diabetiker fast verdoppelt. Das belegte vor kurzem eine Auswertung von 25 Studien mit 8600 Teilnehmern, wie Professor Werner Kern aus Lübeck berichtet hat. Daß das Risiko für vaskuläre Demenz mehr als verdoppelt ist, überrascht nicht. Denn Typ-2-Diabetes ist ja ein bedeutender kardiovaskulärer Risikofaktor. Aber Diabetiker erkranken auch 1,2- bis 2,3mal häufiger an Alzheimer-Demenz als Nicht-Diabetiker.

Warum haben Diabetiker ein erhöhtes Risiko, geistige Leistung einzubüßen? Nach den Ergebnissen mehrerer neuer Studien wird sowohl bei hohen postprandialen Glukosespiegeln als auch durch einen Insulinmangel im Gehirn die geistige Leistung gemindert, berichtete Kern beim Diabeteskongreß in Leipzig.

Akute Überzuckerung beeinträchtigt das Gedächtnis

Welche Effekte eine akute Überzuckerung auf das Denken hat, haben vor kurzem schottische Forscher untersucht. Sie hielten Typ-2-Patienten zwei Stunden lang bei einem Glukosewert von 92 mg/dl oder bei bei 300 mg/dl. Dann prüften sie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionszeit und Informationsverarbeitung. Dabei fanden sie bei den hyperglykämischen Patienten in allen Punkten eine schwächere Leistung.

    Intranasales Insulin gelangt leicht ins Hirn.
   

Wie sich regelmäßige postprandiale Blutzuckerspitzen, die zwar meist nicht so hoch ausfallen, sich aber ständig wiederholen, auf die Gehirnfunktion auswirken, haben finnische Ärzte geprüft. Sie erhoben dreieinhalb Jahre lang Daten bei 500 Teilnehmern mit normaler Glukosetoleranz und bei 80 mit gestörter Glukosetoleranz (IGT). Bei IGT steigt der Zwei-Stundenwert des Blutzuckers im oralen Glukosetoleranztest auf 140 bis 199 mg / dl. Ergebnis: Die Patienten mit IGT hatten ein schlechteres Gedächtnis als die Vergleichsgruppe. Im Mini-Mental-Status-Test zur Kognitionsprüfung schnitt die IGT-Gruppe schlechter ab.

Offenbar ist aber auch die Insulinkonzentration von großer Bedeutung. Denn Insulin gelangt durch aktiven Transport über die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn. Hippocampus, der für die Gedächtnisbildung wichtig ist, und Hirnrinde sind mit Insulinrezeptoren gut bestückt. Steigt der Insulinspiegel im Blut, dann steigt er auch im Liquor. Tierversuchen zufolge nimmt dann auch die Gedächtnisleistung zu.

Anders jedoch verändern sich die Insulinspiegel im Blut und im Liquor bei Insulinresistenz. Als Kern bei Probanden die Insulinkonzentration prüfte, entdeckte er: Mit Zunahme von Gewicht und Fettmasse stieg der Insulinspiegel im Plasma - im Liquor dagegen war es umgekehrt. "Der Anteil des Insulins, das in den Liquor transportiert wird, nahm ab. Übergewichtige, insulinresistente Menschen haben also nicht zuviel, sondern zu wenig Insulin im Gehirn", betonte der Diabetologe bei einem Symposium von LifeScan. Die Beziehung ist linear: Je dicker ein Mensch ist, um so weniger Insulin ist im Gehirn. Eine verminderte Insulinkonzentration im Gehirn wurde auch bei Alzheimer-Patienten beobachtet.

Stärkster Prädiktor für die Insulinabnahme im Liquor war in Kerns Studie der Grad der Insulinresistenz. Bei einem solchen Defizit könnte intranasal verabreichtes Insulin helfen; es gelangt über den Nervus olfactorius direkt ins Gehirn.

Die nasale Insulintherapie erfolgte acht Wochen lang

Tests mit 36 normalgewichtigen, gesunden Männern belegen den Nutzen einer solchen Therapie. Die Männer erhielten acht Wochen lang täglich intranasal ein Scheinpräparat oder jeweils 160 Einheiten eines Normalinsulins oder eines kurzwirksamen Insulin-Analogons. Im Vergleich zu Placebo nahmen mit Normalinsulin behandelte Studienteilnehmer signifikant ab und verbesserten ihr Gedächtnis. Mit dem Analogon war der Unterschied noch deutlicher. Möglicherweise, so Kern, gelange durch den schnellen Anstieg und die hohen Plasmaspiegel der Analoga das Insulin leichter ins Gehirn. In einer ersten Studie wurde jetzt auch bei adipösen Menschen nachgewiesen, daß ihnen intranasales Insulin nützt: Auch ihr Gedächtnis verbessert sich. Aber sie nehmen nicht ab.



FAZIT

Insulinrezeptoren gibt es auch im Gehirn. Besonders viele finden sich zum Beispiel im Hippocampus, der für die Gedächtnisbildung wichtig ist. Bei Insulinresistenz ist jedoch der Transport des Insulins über die Blut-Hirn-Schranke gestört: Übergewichtige, insulinresistente Patienten haben einen verringerten Insulinspiegel im Gehirn. Das könnte mit ein Grund sein, warum Typ-2-Diabetiker und Menschen mit erhöhten postprandialen Blutzucker-Werten häufiger kognitive Defizite oder eine Demenz entwickeln. Intranasal verabreichtes Insulin gelangt direkt ins Gehirn und verbessert kognitive Fähigkeiten und die Gedächtnisleistung. (hbr)

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