Leiter des Gesundheitsamtes Köln gibt Tipps für den Umgang mit der Influenza durch das neue H1N1-Virus

Die WHO hat die Schweinegrippe zur Pandemie erklärt. Darauf sollen sich jetzt auch niedergelassene Ärzte vorbereiten, rät Dr. Jan Leidel, Leiter des Gesundheitsamtes Köln.

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Leidel, was sollen niedergelassene Ärzte angesichts der Pandemie jetzt tun?

Dr. Jan Leidel: Sie müssen jetzt mit der Vorbereitung beginnen - bevor der erste Verdachts-Patient in der Praxis auftaucht. Spätestens jetzt muss das Personal über die Erkrankung, die Übertragungswege und Schutzmöglichkeiten informiert werden. In großen Praxen macht es Sinn, Mitarbeiter zu benennen, die vorrangig zum Einsatz kommen. Und jetzt muss dafür gesorgt werden, dass ausreichend Schutzmöglichkeiten vorrätig sind, etwa FFP2-Masken. Jetzt muss auch schon überlegt werden, in welchem Raum verdächtige Patienten gebracht und untersucht werden, damit sie nicht ins Wartezimmer müssen.

Ärzte Zeitung: Was sollen Ärzte machen, wenn sich Patienten melden, die vermuten, sie könnten Schweinegrippe haben?

Leidel: Idealerweise ruft der Patient vorher an. Dann geht es schon los. Er soll möglichst nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen, sondern besser mit dem Auto. Das weitere Vorgehen hängt vom Zustand des Patienten ab. Ist er schwer krank, sollte er sofort in ein Krankenhaus mit Infektionsstation überwiesen werden. Dort werden dann alle Untersuchungen gemacht. Das Krankenhaus sollte informiert werden. Den Transport übernimmt dann der Rettungsdienst.

Ist der Patient nur leicht erkrankt, muss abgeklärt werden, dass Schweinegrippe vorliegen kann. Wichtig die Reiseanamnese: Kommt er aus einem Land mit hoher Erkrankungszahl? Und: Liegt die Rückkehr länger als sieben Tage zurück, spricht das gegen Schweinegrippe. Die neue Influenza hat eine mittlere Inkubationszeit von drei bis fünf Tagen. Die Spanne geht von einem bis sieben Tage.

Symptome, die für Schweinegrippe typisch sind, sind Fieber - das haben 97 bis 98 Prozent der Patienten -, Husten, Atembeschwerden und retrosternale Schmerzen. Viele Patienten haben ein deutliches Krankheitsgefühl. In Mexiko, den USA und Spanien werden nicht selten gastroenterologische Beschwerden beobachtet. Typisch ist der meist plötzliche Beginn. Beim Gespräch in der Praxis sollten alle Anwesenden, auch der Patient, Masken tragen. Einmal-Handschuhe sind Pflicht.

Nötig ist auch, nach den Kontakten, dem Flug - möglichst mit Flugnummer - und den Stationen der Heimreise zu fragen. Das kann auf das Meldeformular geschrieben werden. Auf jeden Fall sollte man die Infos parat haben, wenn das Gesundheitsamt die Praxis kontaktiert.

Ärzte Zeitung: Wann und an wen muss die Krankheit gemeldet werden?

Leidel: Schon der begründete Verdacht auf Schweinegrippe ist meldepflichtig nach §12 IfSG, auch wenn der Patient ins Krankenhaus überwiesen wurde. Vordrucke gibt es etwa beim Gesundheitsamt oder online beim RKI. Das Formular wird dann sofort ans zuständige Gesundheitsamt gefaxt. Die Gesundheitsämter informieren über die Landesbehörden das RKI.

Ärzte Zeitung: Wie sieht die weitere Diagnostik aus?

Leidel: Offiziell ist der erste Schritt dann ein Schnelltest. Doch manche Tests erkennen die neue Virusvariante nicht. Wir halten die Tests für überflüssig. Denn das Ergebnis ändert nichts am weiteren Vorgehen. Stattdessen sollte eine PCR veranlasst werden. Dazu sind drei trockene Abstriche nötig: aus jedem Nasenloch und aus dem Rachen. Sie sollten nicht in die normalen Abstrichbestecke, wie sie bei bakteriologischen Untersuchungen benutzt werden, gegeben werden, sondern man muss sie trocken lassen. Sie müssen sobald wie möglich an ein Institut geschickt werden, wo das neue Virus erkannt werden kann.

Ärzte Zeitung: Welche Therapieempfehlungen haben Sie?

Leidel: Liegt der Beginn der Symptome nicht mehr als 24 Stunden zurück, ist ein Neuraminidasehemmer indiziert. Das Mittel muss spätestens 48 Stunden nach Beginn der Symptomatik zum Einsatz kommen. In die Apotheke sollte der Patient übrigens nicht selbst gehen. Die Familie mitzubehandeln ist zurzeit nur selten nötig. Es ist abhängig von der Situation. Familienmitglieder mit Asthma, COPD oder Immundefizienz zum Beispiel sollten auch behandelt werden. Der Patient sollte dann die nächsten Tage zuhause bleiben. Wir vermeiden das Wort "Quarantäne" und sprechen von "häuslicher Absonderung". Für gesunde symptomlose Kontaktpersonen gibt es zurzeit keine Auflagen. Aber auch das hängt von der Situation ab. Ist die Ehefrau etwa Kindergärtnerin, würde ich sie zuhause lassen.

Ärzte Zeitung: Was macht das Gesundheitsamt, wenn ein Verdacht auf Schweinegrippe gemeldet wurde?

Leidel: Das Gesundheitsamt kontaktiert sofort den Arzt und auch den Patienten. Ist das Ergebnis der virologischen Untersuchung positiv, bekommt der Patient Besuch von einem Gesundheitsaufseher oder Hygieneinspektor.

Das alles gilt für den Beginn, wenn die Fallzahl noch überschaubar ist. Bei einer Pandemie mit Tausenden von Fällen ist das nicht mehr zu machen. Dazu fehlen die Kapazitäten.

Ärzte Zeitung: Wer informiert die Passagiere, die mit dem Betroffenen im Flugzeug saßen?

Leidel: Passagiere in Flugzeugen aus Risikogebieten müssen jetzt Aussteigerkarten ausfüllen. Das Gesundheitsamt vor Ort konzentriert sich dann auf die Passagiere, die ein, zwei Reihen vor dem Patienten gesessen haben. Denn die Belüftung im Flugzeug ist sektoral, und man atmet und niest nach vorne. Diese Passagiere werden aufgefordert, sich untersuchen zu lassen. Auch die Kontakte nach Rückkehr werden ausfindig gemacht, so gut es geht. Das Gespräch führte Ursula Armstrong.

Lesen Sie dazu auch: Schweinegrippe wird eng von WHO überwacht War nur eine Frage der Zeit: Tod durch H1N1 in Europa Falldefinition des RKI für Schweinegrippe

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