Ukraine

Kämpfe gefährden Versorgung von HIV-Infizierten

Die HIV-Neuansteckungsrate in der Ukraine gilt als die höchste in Europa. Nun gefährden die Kämpfe im Land die ohnehin schwierige Versorgung. Und Politiker verschlafen es, rechtzeitig Medikamentennachschub sicherzustellen.

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KIEW. Mit seiner Pillendose in der Hand fühlt sich der Ukrainer Witali Tkatschuk sicher. "Es sind gewöhnliche Tabletten, doch sie retten mein Leben", sagt er.

Seit 14 Jahren ist Tkatschuk mit dem HI-Virus infiziert und einer von mehr als 250.000 Menschen in der früheren Sowjetrepublik, die sich mit dem Aids-Erreger angesteckt haben. Die Neuinfektionsrate in der Ukraine gilt als die höchste in Europa.

Schon immer war die Versorgungslage im zweitgrößten Flächenstaat Europas schwierig. Wie so vieles in dem finanziell angeschlagenen Land liegt auch der Gesundheitssektor weitgehend am Boden.

Nun toben noch dazu seit Monaten Kämpfe zwischen Regierungskräften und prorussischen Separatisten in der Ostukraine. Wegen dieser politischen Turbulenzen sei die Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten gefährdet, sagt Olga Stepanischina von der Patientenorganisation "Pazienty Ukrainy" in Kiew.

"In der jetzigen Situation reichen die Medikamente für HIV-Positive bestenfalls bis Oktober", meint die 31-Jährige. Ende Juni hat das Gesundheitsministerium den Kauf neuer Präparate ausgeschrieben.

Lieferung erst im Dezember

Die Lieferungen kommen aber erst im Dezember. "Das ist eine Katastrophe. Schon eine dreitägige Verzögerung der Medikamenteneinnahme führt zur Mutation des Virus", warnt Stepanischina.

Der durch die prowestlichen Proteste im Februar ins Amt gelangte Gesundheitsminister Oleg Mussi weist jedoch jede Schuld von sich. "Die Blockade findet beim zuständigen Ausschuss statt", sagt der 49-Jährige.

Der politische Streit geht an den Nöten der Betroffenen vorbei. "Ohne spezielle Therapie sterbe ich in weniger als sechs Jahren", meint Tkatschuk in einer Sendung des Fernsehsenders 5. Kanal. Derzeit erhalten 50.000 Ukrainer eine vom Staat finanzierte Therapie, ohne die sie nicht überleben könnten.

Schon jetzt haben Betroffene in der umkämpften Ostukraine Probleme mit dem Nachschub von Präparaten. "Das betraf besonders die Stadt Slawjansk während der Belagerung", sagt Dmitri Pitschachtschi von der Hilfsorganisation "Totschka Opory" (Stützpunkt).

Lage auf der Krim schwierig

Auch für Infizierte auf der Krim gilt die Lage nach Einverleibung der Schwarzmeerhalbinsel durch Russland als schwierig. Zum einen sind dort nun russische Gesetze in Kraft.

Zum anderen ist das Gebiet durch die Ukraine und Sanktionen des Westens weitgehend isoliert, was etwa die Arbeit internationaler Hilfsorganisationen erschwert.

Seit Beginn der Erfassung 1987 starben in der Ukraine offiziell mehr als 33.000 Menschen an Aids, davon rund 400 Kinder. Experten schätzen die Dunkelziffern für die Ex-Sowjetrepublik aber weitaus höher.

Die Immunschwächekrankheit ist immer noch ein Tabu in dem ländlich geprägten Staat mit oft starken orthodoxen Kirchenstrukturen, die einen offenen Umgang mit dem Thema Sexualität verhindern.

Angst vor der Gewissheit

Nach dem ersten positiven Test gehen viele Ukrainer nicht zum Bestätigungstest. "Sie fürchten sich vor der Gewissheit und vor gesellschaftlicher Isolation", sagt Pitschachtschi.

Hauptansteckungsgrund ist dem Gesundheitsministerium zufolge heute ungeschützter Geschlechtsverkehr. "Nur bis 2007 fand die Übertragung hauptsächlich bei Drogeninjektionen statt", schreibt die Behörde in einer Analyse.

Martin Kade von der in Kiew tätigen deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bestätigt diese Beobachtung. "Die Krankheit kann heute jeden Menschen treffen, der sich nicht schützt", sagt der Arzt.

Die GIZ setzt in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Regierung daher auf Aufklärung. Kades Eindruck ist, dass vor allem junge Menschen heute mit dem Thema offener umgehen.

Die Arbeit scheint Früchte zu tragen - die Zahl der Neuinfektionen bei jungen Leuten sank in den vergangenen Jahren beständig. Dennoch kann von Entspannung keine Rede sein: Allein 2013 wurden in der Ukraine weitere knapp 18.000 neue HIV-Infektionen registriert.

Für Ukrainer bis 69 Jahre zählt Aids weiter zu den häufigsten Ursachen für einen vorzeitigen Tod.

Ende kommender Woche treffen sich mehr als 14.000 Forscher, Experten und Aktivisten auf der Welt-Aids-Konferenz in Melbourne. Von 20. bis 25. Juli wollen sie eine neue Vision für den Kampf gegen Aids festlegen und diskutieren, wie die Ausbreitung der Erkrankung bis 2030 gestoppt werden kann. (dpa)

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