Kinn kurzfristig taub - MS war Ursache

BASEL (ner). Trigeminale Sensibilitätsstörungen kommen bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS) häufig vor. Selten können sie auch Erstmanifestation einer MS sein. Daran erinnern Kollegen am Beispiel einer jungen Frau mit Numb- Chin-Syndrom.

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Die 34-jährige Patientin war als Notfall in das Universitätsspital Basel eingewiesen worden, weil sie seit fünf Tagen ein Taubheitsgefühl am Kinn bemerkt hatte, das sich allmählich ausdehnte.

Die klinischen Untersuchungen von Internisten und Neurologen waren weitgehend unauffällig, abgesehen von einem hypästhetischen Areal von drei mal drei Zentimeter Ausdehnung am Kinn mit Beteiligung der Unterlippe links. Das berichtet eine Arbeitsgruppe um Professor Achim Gass von der Neurologie des Baseler Krankenhauses (Dtsch Med Wochenschr 133, 2008, 76).

Auf Trigeminus-Beteiligung ergaben sich keine Hinweise

Es ergaben sich vor allem keinerlei Hinweise auf eine ausgedehnte Beteiligung des Nervus trigeminus oder anderer Hirnnerven. Auch die ausgedehnte Labordiagnostik blieb weitgehend unauffällig. Resultate der Lumbalpunktion waren mehr als fünf oligoklonale IgG-Banden und ein erhöhter IgG-Index von 1,3. Allerdings blieben die Serologien auf neurotrope Erreger, vor allem auf Borrelien, negativ.

MRT zeigte eine Läsion bei faszikulären Trigeminusfasern

Transversale MRT bei einem Patienten mit Hirnstammsymptomen. Die Pfeile deuten auf hyperintense Läsionen lateral des Hinterhorns des rechten Seitenventrikels sowie der Capsula interna ...

Erst per MRT fielen eine symptomatische Läsion im Verlauf der faszikulären Fasern des N. trigeminus auf sowie zwölf weitere supratentorielle T2-hyperintense Hirnparenchymläsionen. Bei der Kontroll-MRT vier Monate später fanden sich neue T2-hyperintense Läsionen, die eine subklinische entzündliche Erkrankung anzeigten. Daraufhin äußerten die Neurologen den Verdacht auf eine Multiple Sklerose.

Eine MS ließ sich zwar auch nach der wiederholten MRT formell nicht beweisen. Dennoch leiteten die Kollegen daraufhin eine immunmodulierende Therapie mit Beta-Interferon ein, um den Krankheitsverlauf zu bremsen. Das hypästhetische Areal am Kinn und an der Unterlippe hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits spontan zurückgebildet.

Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus alveolaris inferior

Das erstmals im Jahre 1930 beschriebene Numb-Chin-Syndrom (NCS) beruht auf einer Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus alveolaris inferior, aus dem der N. mentalis entspringt. Die Störung kann viele Ursachen haben, etwa zahnärztliche oder kieferorthopädische Eingriffe, neoplastische Infiltrationen, oropharyngeale Infektionen oder Entzündungen wie Borreliose, Sarkoidose, Arteriitis temporalis sowie Kollagenosen.

... und paramedian frontal linksseitig. Fotos (2): Professor Achim Gass

Bei MS sind Sensibilitätsstörungen oder Neuralgien im Versorgungsgebiet des N. trigeminus häufig. Als Erstmanifestation der MS sei das Numb-Chin-Syndrom allerdings erst selten beschrieben worden, so Gass und seine Kollegen.

Sie empfehlen, derartige Symptome stets als klinisches Alarmzeichen zu werten und in Abhängigkeit von der Anamnese nach lokalen Prozessen sowie nach zentralen entzündlich-demyelinisierenden Veränderungen zu suchen.

Lesen Sie dazu auch das Interview: "Prädilektionsstelle liegt im Trigeminusbereich"

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