Hintergrund

Krebstherapie personalisiert - bloß an der Abrechnung hakt's

Neue Diagnostik kann die Krebstherapie effizienter zu machen. Doch bislang ist das Wissen teilweise noch unzulänglich. Vor einem großen Problem steht aber die ambulante Medizin, denn im EBM fehlen die nötigen Ziffern. Auch ethisch stellen sich etliche Fragen.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Krebstherapie wird durch Diagnostik effizienter.

Krebstherapie wird durch Diagnostik effizienter.

© Li Wa / shutterstock

Ärzte und Medizinstudierende sollten besser über die personalisierte Medizin informiert werden, fordert der Internist Professor Arnold Ganser.

"Sie müssen mehr darüber wissen, sie sind diejenigen, die die Arzneimittel einsetzen sollen", sagte der Direktor der Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation an der Medizinischen Hochschule Hannover auf dem "Gesundheitskongress des Westens 2012" in Köln.

Mit der personalisierten Medizin seien gerade in der Onkologie große Hoffnungen verbunden: Die bisherigen Zytostatika stoßen an ihre Grenzen, die Ansprechrate beträgt in der Regel rund 40 Prozent.

Das weckt den Wunsch nach gezielteren Therapiemöglichkeiten. Ganser warnte aber vor übertriebenen Hoffnungen.

Das "Paradebeispiel" des Wirkstoffs Imatinib, der bei chronisch-myeloischer Leukämie in fast 100 Prozent der Fälle wirken werde, sei ein Sonderfall. "Bei allen anderen Tumorerkrankungen sieht es anders aus."

Biomarker gewinnen an Bedeutung

Der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem schlug vor, von "stratifizierter Medizin" zu sprechen. Schließlich sei es nicht das Ziel, ein Medikament für einen konkreten Patienten zu entwickeln, sondern für eine Subgruppe.

"Es geht darum, geeignete Patientengruppen zu identifizieren, die von einer Therapie besonders profitieren oder nicht profitieren, so dass man sie ausschließen kann", sagte Wasem.

Nach Angaben von Dr. Sabine Sydow, Leiterin der Interessengruppe Biotechnologie im Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa), werden inzwischen Biomarker in rund 20 Prozent aller klinischen Studien eingesetzt.

"Mehr als ein Drittel aller Studien in der Onkologie werden unter Verwendung von Biomarkern durchgeführt."

Der personalisierten Medizin gehöre in vielen Gebieten die Zukunft, sagte Sydow. "Sie hilft, die Behandlungseffizienz zu steigern, wenn sie validiert ist."

Das eigentlich Neue an der personalisierten oder individualisierten Medizin sei nicht das Bemühen, dem jeweiligen Patienten gerecht zu werden, sagte Dr. Diedrich Bühler von der Abteilung Medizin des GKV-Spitzenverbands.

Neu sei die biotechnologische Machbarkeit nach der Entschlüsselung des Genoms. "Wir haben neue Handlungsmöglichkeiten gewonnen und ein tieferes Verständnis der dahinter liegenden Vorgänge."

Diagnostik-Ziffern fehlen

Die neuen Therapieformen müssen nach Ansicht des Mediziners den Beweis ihrer Überlegenheit antreten. "Neue Werkzeuge müssen zeigen, dass sie besser funktionieren, nicht dass sie funktionieren."

Jetzt sei es notwendig, für die Prüfung der neuen Tandemkonzepte aus Diagnostikum und Therapeutikum sinnvolle Prüfmuster zu finden.

"Die Ansprüche an den Nutzenbeweis sind kontinuierlich gewachsen", sagte der Arzt und Jurist Professor Christian Dierks.

Solange diagnostische Tests zum Herausfiltern geeigneter Patienten für eine Therapie nicht als Leistung in den EBM aufgenommen sind, kann der Vertragsarzt sie nicht abrechnen, sondern er muss sie privat liquidieren.

"Vertragsärzte werden Patienten die testbasierten Arzneimittel nicht anbieten."

Wenn die Einteilung der Patienten in Subgruppen aber zum medizinischen Standard wird, haben auch die GKV-Patienten Anspruch darauf, sagte Dierks. "Das System muss eine Ziffer für die Diagnostik bereitstellen."

Denkbar wäre, dass der Bewertungsausschuss innerhalb einer bestimmten Frist über die Bewertung der neuen Leistung entscheiden muss.

Gefahr der genetischen Priorisierung

"Wenn die personalisierte Medizin nachweislich die Wirksamkeit, Sicherheit und Effizienz der Versorgung verbessert, dann ist die Förderung der personalisierten Medizin ethisch geboten", betonte der Medizinethiker Professor Georg Marckmann von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die Nutzenbewertung der neuen Angebote müsse verbessert werden. Darauf könne die Kosten-Nutzen-Bewertung aufsatteln.

"Die Zielsetzung ist dabei, die wirklichen Innovationen allen GKV-Versicherten zur Verfügung zu stellen und die Schein-Innovationen auszuschließen."

Mit der personalisierten Medizin sei eine Reihe gerechtigkeitsethischer Fragestellungen verbunden, sagte Marckmann. So müsse geprüft werden, ob mit Investitionen in diesen Bereich die richtigen Prioritäten gesetzt werden.

Auch sieht er das Risiko, dass die Ressourcen vor allem in profitable Bereiche fließen und Patienten mit seltenem genetischen Profil außen vor bleiben.

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