Alte Diabetiker

Mit Assessment zur angemessenen Therapie

Abhängig von der Gebrechlichkeit sind bei alten Diabetikern die Therapieziele zu lockern. Hohe Priorität haben Hypoglykämie-Vermeidung und Lebensqualität.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Bei alten Diabetikern ist auf einiges zu achten.

Bei alten Diabetikern ist auf einiges zu achten.

© Robert Kneschke / Fotolia

In der Regel haben zwei Therapieziele bei Patienten mit Typ-2-Diabetes oberste Priorität: Die Behandlung soll Langzeitkomplikationen wie mikro- und makrovaskulären Schäden vorbeugen und die Patienten sollen ihr Körpergewicht reduzieren.

"Bei alten Patienten ist das anders", hat Dr. Daniel Kopf von der Geriatrischen Klinik am Marienkrankenhaus in Hamburg beim Internistenkongress in Mannheim betont. So rückt das Ziel einer Prävention von Langzeitschäden mit fortschreitendem Lebensalter immer weiter in den Hintergrund. Und eine Gewichtsreduktion schadet im Alter sogar häufig: Besonders gebrechliche Senioren sind zunehmend durch Untergewicht gefährdet und alte Menschen mit Normalgewicht (BMI unter 27) haben nach Studiendaten ein etwas höheres Sterberisiko als solche mit etwas Übergewicht.

Lebensqualität rückt in den Fokus

Bei zuckerkranken alten Menschen rücken daher andere Ziele der antidiabetischen Therapie in den Vordergrund. Besonders wichtig ist die Vermeidung von Hypoglykämien. Unterzuckerungen begünstigen Stürze und können zur Demenz-Entwicklung beitragen. Ziel ist es zudem, die Progression bereits vorhandener Folgeschäden wie diabetischem Fuß oder Retinopathie zu hemmen. Eine Gewichtsreduktion ist dagegen vor allem bei gebrechlichen Senioren zu vermeiden. Hier rückt eine gute Lebensqualität in den Vordergrund: Gegen Hyperglykämie mit Polyurie und Exsikkose ist daher vorzugehen.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) rät, abhängig von der Verfassung alter Patienten die antidiabetischen Therapieziele zu lockern. Bei kalendarisch alten, aber nicht-geriatrischen Patienten ("go-goes") wird dabei ein HbA1c-Ziel unter 7,5 Prozent empfohlen. Bei hilfsbedürftigen geriatrischen Patienten mit leichten Handicaps ("slow-goes") sind danach Werte bis 8 Prozent und bei hilflosen geriatrischen Patienten mit schwersten Handicaps ("no-goes") bis 8,5 Prozent zu vertreten. Um die Therapieziele festzulegen ist dabei ein geriatrisches Assessment nötig. Zur Abschätzung empfiehlt der Geriater den "time up and go test": Dabei wird die Zeit gestoppt, die der sitzende Patient benötigt, um aufzustehen, drei Meter zu laufen, zurückzukehren und sich wieder zu setzen. Auswertung: Fitte alte Menschen brauchen hierzu weniger als zehn Sekunden, sehr gebrechliche über 20 Sekunden.

Ist Insulintherapie noch möglich?

Manuelle und kognitive Fähigkeiten lassen sich darüber hinaus mit dem "Geldzähltest nach Nikolaus" abschätzen: Dabei bekommt der Patient eine geschlossene Geldbörse mit Münzen und Scheinen. Gestoppt wird die Zeit, bis der Patient das Geld hervorgeholt und richtig gezählt hat. Werte unter 45 Sekunden deuten dabei auf fitte Senioren, Werte über 70 Sekunden auf sehr gebrechliche. Hiermit lässt sich zum Beispiel eruieren, ob ein Patient noch eine Insulintherapie selbst vornehmen kann. "Zur Therapie alter Diabetiker sollte man Präparate mit geringem Hypoglykämie-Risiko auswählen und dabei auch eine eventuelle Nierenschädigung berücksichtigen", betont Kopf. Metformin ist auch hier das Mittel der ersten Wahl. "Auch DPP-4-Hemmer scheinen günstig", so der Geriater: Es gibt Daten aus Endpunktstudien, sie sind geeignet bei Niereninsuffizienz und haben einen gewichtsneutralen Effekt. SGLT-2-Hemmer seien hingegen nur für fitte und adipöse Senioren geeignet, zu vermeiden sind sie bei Exsikkose und Untergewicht.

Die Therapie mit Insulin ist komplex, wenn möglich ist eventuell sogar eine Umstellung auf orale Antidiabetika zu erwägen. In Pflegeheimen sei die postprandiale Insulin-Therapie mit schnellwirksamen Analoga eine gute Strategie. "Nach der Mahlzeit wird das aufgenommene Essen abgeschätzt und die Insulinmenge daran angepasst", so Kopf. Er betont jedoch: "Hierzu braucht man aber sehr gut geschultes Pflegepersonal".

Abrechnungs-Tipp

Im Rahmen der Betreuung von Patienten mit Diabetes mellitus hat der GBA den Weg frei gemacht für die Verordnung von rtCGM-Systemen (Kontinuierliche Glucosemessung in Echtzeit) zur Blutzuckermessung. Die Verordnung dieser Systeme ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft. So muss es sich um insulinpflichtige Patienten handeln, bei denen die Therapieziele nicht mit herkömmlichen Möglichkeiten erreicht werden können und/oder die Unterzuckerungen nicht rechtzeitig wahrgenommen wird. Auch müssen die Patienten geschult sein und mit dem CGM sicher umgehen können.

Zur Abrechnung wurden im hausärztlichen, im kinderärztlichen und im internistischen Kapitel je eine neue GOP eingeführt mit jeweils identischem Leistungsinhalt und identischer Bewertung (72 Punkte, 7,58 EUR): GOP 03355 für Hausärzte, GOP 04590 für Kinderärzte und GOP 13360 für Internisten. Leistungsinhalt ist die Anleitung eines Patienten und/oder einer Bezugsperson zur Selbstanwendung eins rtCGM von mindestens zehn Minuten Dauer. Grundlage ist Paragraf 3 Nr. 3 der Nr. 20 der Anlage I quot;Anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethodenquot; der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung des GBA. Berechnungsfähig ist die GOP je vollendete zehn Minuten, jedoch höchstens zehn Mal im Krankheitsfall. (pes)

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