Jäger und Kannibale

Myxococcus xanthus ist Mikrobe des Jahres 2020

Myxococcus xanthus gehört zu den Myxobakterien. Diese Mikroben werden als Quelle für neue Antibiotika und Therapeutika zunehmend interessant.

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Myxococcus xanthus jagt im Schwarm eine Escherichia coli-Kolonie.

Myxococcus xanthus jagt im Schwarm eine Escherichia coli-Kolonie.

© Roland Garcia, HIPS

Frankfurt am Main. Sie rotten sich zu Hunderttausenden zusammen, belagern das Opfer und vernichten es schließlich: Myxococcus xanthus ist ein aktiver Jäger, der andere Bakterien als Nahrungsquelle nutzt.

Die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) hat dieses in sozialem Verband lebende Bakterium zur Mikrobe des Jahres 2020 gewählt.

Jagd im Schwarm und Kannibalismus

Bei Nahrungsmangel lauert Myxococcus xanthus geschützt auf bessere Zeiten: Unzählige Zellen finden sich gezielt zu einem kugelförmigen Haufen zusammen und bilden einen Pilz-ähnlichen gelben Fruchtkörper, berichtet der VAAM.

Der Fruchtkörper sei fast mit bloßem Auge zu erkennen: Die Kugeln erreichen die Dicke eines Blatts Papier. Die schlanken, stäbchenförmigen Zellen verwandeln sich in runde Sporen, die Hunger- und Trockenzeiten überdauern können.

Fruchtkörper und Sporen verdankt das Bakterium seinen Namen: Die Fruchtkörper sind gelb (griech. xanthos), die Sporen kugelig (coccos), und die Zellen produzieren einen Schleim (myxa), der die Gemeinschaft zusammenhält. Der größte Teil hungernder Zellen löse sich jedoch auf und diene als Nahrungsquelle, so der VAAM – kannibalistischer Selbstmord zum Überleben der Population.

Ein kleiner Teil stäbchenförmiger Zellen bleibe außerhalb des Fruchtkörpers und helfe, neue Nahrungsquellen zu erkennen. Ist der unwirtliche Zustand vorüber, bilden sich aus den verbliebenen Stäbchen und Sporen des Fruchtkörpers wieder aktive Zellgemeinschaften, die erneut zum Beutezug ausschwärmen.

Beweglich durch Ziehen und Gleiten

Der im Boden lebende Myxococcus xanthus kann sich auf zwei verschiedene Arten bewegen: Zum einen nutzen die Bakterien haarförmige Anhängsel (Pilus) aus tausenden Proteinuntereinheiten. Jeder einzelne Pilus kann sich verlängern, an Oberflächen anheften und dann wieder verkürzen. So entsteht eine Kraft, die die Zelle nach vorne zieht, erklärt der VAAM in seiner Mitteilung.

Zum anderen könnten die Bakterien gleiten: Dabei heften sie sich mit Hilfe von Proteinkomplexen an den Untergrund. Diese Proteinkomplexe entstehen am vorderen Zellpol, binden an den Untergrund und wandern dann an das hintere Ende der Zelle. So schiebt sich die Zelle nach vorne.

Ein Baukasten aus Naturstoffen für Medikamente

Mit fast zehn Millionen Basenpaaren besitzt Myxococcus xanthus eins der größten bakteriellen Genome, wie es in der Mitteilung des VAAM heißt. Die aufwändige Lebensweise führe zudem dazu, dass Myxobakterien viele biologisch aktive Stoffe bilden, darunter Antibiotika zum Abtöten ihrer Opfer und Botenstoffe zur Kommunikation. Über 130 solcher Sekundärmetabolite (Stoffe, die nicht unmittelbar dem Stoffwechsel dienen) seien mittlerweile beschrieben.

Myxobakterien würden als Quelle für neue Antibiotika und Therapeutika zunehmend interessant, erinnert der VAAM. Das kürzlich entdeckte Corallopyronin könnte ein neues Breitbandantibiotikum werden.

Der genetische Bauplan aus einem anderen Myxobakterium wurde in das Modellbakterium M. xanthus kloniert, um ausreichende Mengen an Corallopyronin herstellen und so die Wirksamkeit genauer untersuchen zu können. Auch Wirkstoffe gegen Krebs, Viren und im Pflanzenschutz gegen Pilzerkrankungen würden derzeit erforscht. (eb)

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