Gonarthrose

Neues Knie hält Herz in Schuss

Erneut zeigt sich in einer Studie: Arthrose-Patienten mit Kniegelenkersatz erleiden seltener einen Herzinfarkt oder Schlaganfall als jene, die konservativ behandelt werden.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Narbe nach Kniegelenksersatz: Mit TEP sind Patienten beweglicher und reduzieren so ihr Herz-Kreislauf-Risiko, diskutieren Forscher.

Narbe nach Kniegelenksersatz: Mit TEP sind Patienten beweglicher und reduzieren so ihr Herz-Kreislauf-Risiko, diskutieren Forscher.

© Miriam Dörr / fotolia.com

CHIAYI. Vor zwei Jahren hatte eine kanadische epidemiologische Studie viel Aufmerksamkeit bekommen. Sie war der Frage nachgegangen, wie sich das kardiovaskuläre Risiko von Patienten, die wegen einer Kniegelenksarthrose eine Totalendoprothese (TEP) erhalten hatten, von jenem bei konservativ behandelten Patienten unterschied.

 Insgesamt wurden damals 2200 Patienten berücksichtigt (BMJ 2013; 347: f6187).

Die Wissenschaftler fanden ein um 44 Prozent geringeres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten nach TEP. Statistische Basis war eine Propensity-Score-basierte Analyse, mit der in einem aufwändigen Matching-Verfahren für bekannte Störgrößen adjustiert wurde.

Orthopäden und Biostatistiker mehrerer Universitäten in Taiwan haben sich derselben Fragestellung jetzt noch einmal bei einer zehnmal so großen Kohorte angenommen (PloS ONE 2015; 10: e0127454).

Die Analyse basiert auf der Forschungsdatenbank des nationalen taiwanesischen Krankenversicherungssystems. Es handelte sich also anders als bei der kanadischen Analyse um eine populationsbasierte Kohorte.

Statistiker waren noch strenger

Und noch einen Unterschied gab es: Die Statistiker waren diesmal deutlich strenger. Sie setzten zunächst das auch von den Kanadiern genutzte Propensity-Score-basierte Matching ein, mit dem die Daten für eine Reihe bekannter Störgrößen, konkret Alter, Geschlecht, Charlson Comorbidity Index, sozioökonomischer Status, Wohnort und behandelndes Krankenhaus, adjustiert wurden.

Das Ergebnis nach dieser ersten statistischen Runde entsprach dem der Kanadier auf den Punkt: Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Schlaganfall und akuter Myokardinfarkt) über einen Drei-Jahres-Zeitraum war bei Arthrosepatienten mit TEP um 44 Prozent geringer als bei Patienten ohne TEP.

Zusätzlich erfolgte in einer zweiten Statistikrunde eine Analyse mit instrumentellen Variablen (IVA). Das ist ein statistisches Verfahren, das aus den Sozialwissenschaften kommt und das die klinisch-epidemiologische Forschung erst langsam für sich entdeckt. Mit einer IVA kann für unbekannte Störgrößen adjustiert werden.

Verringertes Risiko mit TEP

Mit der IVA zielten die taiwanesischen Wissenschaftler in erster Linie auf jenen Selektions-Bias, der daraus entsteht, dass Patienten, die eine Kniegelenks-TEP bekommen, potenziell gesünder sind. Dieser Faktor wird zwar auch in der Propensity-Score-Analyse durch Nutzung des Comorbidity-Index als Störgröße berücksichtigt.

Da aber Komorbiditäten und auch komorbiditäts- und altersassoziierte weiche Faktoren wie Gebrechlichkeit notorisch schwierig zu erfassen sind, zieht die IVA gewissermaßen die statistischen Schrauben mit Blick auf den Selektions-Bias noch etwas fester an.

Im Ergebnis blieb auch bei dieser Analyse das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse in der TEP-Gruppe um statistisch signifikante 7 Prozent geringer.

Im Vergleich zu den 44 Prozent in der Propensity-Score-Analyse klingt das zunächst wenig. Die Autoren bewerten es aber als sehr bemerkenswert, weil ein kausaler Zusammenhang zwischen TEP und geringerem CV-Risiko dadurch deutlich wahrscheinlicher wird.

Diskutiert werden drei mögliche Mechanismen für einen solchen Kausalzusammenhang. Zum einen und naheliegend könnten sich Arthrosepatienten mit TEP mehr körperlich bewegen und auf diesem Weg ihr Herz-Kreislauf-Risiko senken. Auch eine Verringerung des psychosozialen Stresses durch die Operation könnte nach Auffassung der Wissenschaftler zur Risikoreduktion beitragen.

Schließlich käme auch noch ein geringerer NSAR-Konsum bei TEP-Patienten als Erklärung in Frage. Die genutzte Datenbank erlaubte es leider nicht, diese Faktoren genauer auszuleuchten.

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Kommentare
Dr. Herwig Meschke 14.06.201514:45 Uhr

Statistiker waren nicht streng genug

Die zitierte taiwanesische Untersuchung enthält leider methodische Schwächen, die die kausale Interpretation „Neues Herz hält Knie in Schwung“ verhindern.

Zur ersten Analyse: Das Matching mittels des Propensity-Scores beruht auf der Idee, Patientenmerkmale vor der Therapieentscheidung zu erfassen, die mit der gewählten Zielgröße (Häufigkeiten von späteren Herzinfarkten und Schlaganfällen) zusammenhängen könnten. Ziel ist es, Untergruppen mit ähnlichen Werten dieser Kovariablen zu bilden und den Therapieeffekt innerhalb dieser Gruppen zu prüfen.

Hier sollten also Merkmale wie Bluthochdruck, Diabetes, Fettleibigkeit u.ä. aufgenommen werden, die als Risikofaktoren für die Entwicklung von Herzinfarkten und Schlaganfällen vermutet werden können. Tatsächlich wird aber nur ein gesundheitsbezogenes Merkmal erfaßt, der „Charlson Comorbidity Index Score“, der ein breites Spektrum lebensgefährdender Merkmale wie z.B. AIDS und Krebserkrankungen abfragt und zur Vorhersage der 12-monatigen Überlebenswahrscheinlichkeit konstruiert wurde. Tab. 1 des Originalartikels zeigt, dass laut diesem Index Knie-OP-Patienten vor der Operation gesünder sind als Patienten ohne OP.

Die Aufnahme nur dieses einzigen und dazu noch sehr heterogenen Merkmals
schränkt die Interpretierbarkeit der ersten Analyse stark ein.

Die zweite Analyse mittels einer „Instrumentalvariablen“ geht umgekehrt vor: man sucht nach einem Merkmal, das die Therapieentscheidung (konservative Therapie oder Endoprothese) beeinflußt, aber keinen Zusammenhang mit der Zielvariablen (Auftreten von Herzinfarkten und Schlaganfällen) hat (außer über die Therapiewahl selbst). Als Instrumentalvariable wurde die Durchführungshäufigkeit von Knieoperationen bei Arthrosepatienten an dem jeweiligen Krankenhaus gewählt und zwei entsprechende Extremgruppen niedriger und hoher OP-Häufigkeit gebildet.

Allerdings werden keine Angaben darüber gemacht, ob die strengen Annahmen zutreffen, die Voraussetzung der Analyseinterpretation sind (Sensitivitäts-analyse). Zudem unterscheidet sich die relativ kleine Teilstichprobe, an der diese Instrumentalvariablen-Analyse durchgeführt wurde, deutlich von der Gesamtstichprobe (weniger Männer, mehr ländliche Kliniken); in der Gruppe mit geringer OP-Häufigkeit findet man weniger Patienten mit Begleit-erkrankungen und mehr private Kliniken als in der Gesamtgruppe ohne OP.

Man ist also noch weit von der Beantwortung der Frage entfernt, ob eine Knieendoprothese bei arthritischen Patienten das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen mindern kann.

Eine Alternativerklärung: wenn beim Anästhesisten-Check vor einer Knie-OP häufiger bislang unbekannte Herz-Kreislaufprobleme diagnostiziert und später behandelt werden, als bei einer konventionellen Behandlung des Knies, kann auch dies, ganz unabhängig von einer OP, das „Herz in Schwung“ halten.

Dr. Herwig Meschke
Moderne-Statistik.de

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