Schutz vor Behandlungsfehlern

Notfall-Armband ist oft keine Hilfe

Armbänder oder Halsketten mit wichtigen medizinischen Informationen sollen den Träger im Notfall vor Behandlungsfehlern bewahren. Allerdings sind sie dazu derzeit kaum geeignet – unter anderem, weil sie Nonsens- und Fehlinformationen enthalten.

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LONDON. Armbänder und Halsketten mit medizinischen Daten werden bereits seit den 1950er-Jahren produziert. Sie sollen den Trägern im Notfall mehr Sicherheit geben, indem sie vitale und nicht offensichtliche Informationen übermitteln, wenn die Patienten nicht mehr in der Lage sind zu kommunizieren. Damit sie von den üblichen Schmuckstücken zu unterscheiden sind, ist außer den medizinischen Informationen meistens ein Äskulapstab eingraviert.

Wie gut die intendierte Synthese aus Schönem und Nützlichem gelingt, ist allerdings unklar. Wissenschaftler um Suehana Rahman vom Royal Free Hospital in London haben einschlägigen Publikationen gesichtet und sind skeptisch, was den Nutzwert betrifft (Anaesthesia 2017, online 5. Juli). Ihre Zweifel gründen vor allem auf der häufig unzutreffenden oder ungeeigneten Information, die die Patienten auf dem Armband oder der Halskette eintragen lassen.

Von den 47 Publikationen zu Notfall-Schmuck ist die Mehrheit werblicher Natur, wie Rahman und ihre Kollegen berichten. In 31 wissenschaftlichen Artikeln werden die Indikationen diskutiert, bei denen eine solche Sicherheitsmaßnahme überhaupt sinnvoll ist.

Dazu zählen beispielsweise Anaphylaxien/Allergien, medizinische Implantate, künstliche Herzklappen, Erkrankungen wie Diabetes, Epilepsie, Hämophilie oder Demenz sowie die Anwendung von Medikamenten wie Antikoagulanzien oder Insulin. Nicht angebracht sei es dagegen, Intoleranzen beziehungsweise Krankheiten oder Medikamente, die im Notfall ohne Belang sind, etwa Hypertonie oder Statine, zu dokumentieren, so die Wissenschaftler.

Vier Veröffentlichungen widmen sich möglichen unerwünschten Wirkungen des Notfall-Schmucks: Eine unmittelbare Nebenwirkung erfuhr beispielsweise ein Patient mit einem eng sitzenden Armreif, der den venösen Rückstrom behinderte und so eine Phlebitis verursachte. Häufiger tritt jedoch das Problem auf, dass die medizinische Botschaft schlicht nicht entdeckt wird, weil der Schmuck in der Regel eher unauffällig gestaltet ist und auch an entlegeneren Körperstellen wie etwa dem Fußgelenk angebracht wird.

Aber selbst am Handgelenk getragen können vitale Informationen durchaus übersehen werden, wenn es in einer Notfallsituation schnell gehen muss. So wurde der Armreif mit dem Hinweis auf eine Suxamethonium-Unverträglichkeit bei einem kognitiv eingeschränkten Patienten bei der Vorbereitung für den OP überklebt – und erst auf der Intensivstation entdeckt, wo der Mann wegen einer Suxamethonium-Apnoe beatmet werden musste.

Rahman und ihre Kollegen warnen insbesondere vor möglichen Risiken, die sich dadurch ergeben, dass es sich bei den Informationen um nicht ärztlich überprüfte Eigenangaben der Patienten handelt. So kann etwa die – in einem Fall tatsächlich auf einem Armband entdeckte – Inschrift "Allergie gegen Narkose" den Behandlern nicht nur Rätsel aufgeben, sondern unter Umständen auch ein therapeutisches Dilemma verursachen. Es ist außerdem bekannt, dass das Vorliegen bestimmter Allergien, beispielsweise gegen Penicillin, von Patienten viel häufiger angenommen wird, als es tatsächlich der Fall ist.

Die Londoner Wissenschaftler halten daher einheitliche Regularien für den Notfall-Schmuck für dringend geboten. Sie schlagen vor, eine Liste mit geeigneten Indikationen zu erstellen. Auch sei es wichtig, die niedergelegten Informationen regelmäßig zu prüfen und festzulegen, in welchem Maß Ärzte auf die Angaben Einfluss nehmen sollen.

In der aktuellen, ungeregelten Situation geben die Autoren Ärzten für den Umgang mit Notfall-Schmuck im Akutfall folgende Empfehlungen:

-Die eingravierte Information ist wie eine mündliche Information zu behandeln; es liegt also in der Verantwortung des behandelnden Arztes, sie im Interesse des Patienten zu interpretieren.

-Wenn der Notfall-Schmuck nicht als solcher zu erkennen ist, ist es nicht notwendig, eine ausgedehnte Suche danach zu starten.

-Informationen bei einem Patienten, der nicht ansprechbar ist, müssen nur dann beachtet werden, wenn sie angemessen und zudem vernünftig sind.

-Ansprechbare Patienten dürfen sich nicht allein auf den Schmuck zur Vermittlung wichtiger Informationen verlassen. (bs)

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