Osteoporose-Therapie jetzt auch nach Lebensalter

Ingrid KreutzVon Ingrid Kreutz Veröffentlicht:

In der Osteoporose-Diagnostik und bei der Therapie soll sich künftig einiges ändern. So hat der Dachverband der Deutschsprachigen Osteologischen Fachgesellschaften (DVO) jetzt erstmals eine gemeinsame Leitlinie für Frauen und Männer erarbeitet, und zwar für Frauen ab der Menopause und für Männer ab dem 60. Lebensjahr.

Das Besondere der neuen Leitlinie: "Aufgrund neuer Erkenntnisse aus epidemiologischen Studien läßt sich das Frakturrisiko eines Patienten jetzt genauer ermitteln und die medikamentöse Therapie zur Fraktur-Prophylaxe gezielter einsetzen", sagte Professor Johannes Pfeilschifter, Internist am Evangelischen Krankenhaus Lutherhaus in Essen und Gesamt-Koordinator der Leitlinie, zur "Ärzte Zeitung".

Die Entscheidung, ob bei einem Patienten eine Osteoporose-spezifische Therapie zur Fraktur-Prophylaxe erforderlich ist, soll nicht mehr nur nach der Knochenmineraldichte, sondern auch nach Lebensalter, Geschlecht und bestimmten Risikofaktoren wie mehrere Stürze oder Immobilität entschieden werden. "Die Knochendichte allein sagt, von Extremwerten einmal abgesehen, das Bruchrisiko viel zu ungenau vorher", so Pfeilschifter.

Hierfür seien noch weitere Merkmale wie die Knochenarchitektur und die Knochenqualität von Bedeutung. Da diese sich bisher nicht direkt bestimmen ließen, müßten diese Merkmale über das Lebensalter und weitere Risikofaktoren der Patienten abgeschätzt werden.

Neue epidemiologische Studien ausgewertet

Bisher wurde eine Osteoporose-spezifische Therapie - unabhängig vom Lebensalter - ab einem T-Wert (Standardabweichung der Knochendichte von der durchschnittlichen Knochendichte eines jungen gesunden Erwachsenen) von minus 2,5 empfohlen. Dies gilt jetzt nur noch für Frauen über 70 Jahre und Männer über 80 Jahre.

Der Grund: Neue epidemiologische Studien mit insgesamt mehr als 100 000 Teilnehmern haben ergeben, daß das Risiko für osteoporotische Knochenbrüche durch die alleinige Betrachtung der Knochendichte bei jungen Menschen deutlich überschätzt und bei älteren Menschen unterschätzt wird.

Das sind die Indikationen für eine spezifische medikamentöse Therapie 1,2
ohne Wirbelkörperfraktur
(WK)
bei Lebensalter (Jahre)
T-Wert: Standardabweichung von der durchschnittlichen Knochendichte eines jungen gesunden Erwachsenen; nur anwendbar auf DXA (Dual Energy X-ray Absorptiometry)-Werte
Frau
Mann
-2,0 bis -2,5
-2,5 bis -3,0
-3,0 bis -3,5
-3,5 bis -4,0
-4,0 bis -4,5
< -4,5
50-55
60-65
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Ja
55-60
65-70
Nein
Nein
Nein
Nein
Ja
Ja
60-65
70-75
Nein
Nein
Nein
Ja
Ja
Ja
65-70
75-80
Nein
Nein
Ja
Ja
Ja
Ja
70-75
80-85
Nein
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
>75
>85
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
Ja
mit Wirbelkörperfraktur Ja, rasche Therapie wichtig, da hohes akutes Folgerisiko für Wirbelkörperfrakturen
1. Bei Vorliegen eines oder mehrerer der folgenden Risikofaktoren ist eine maximal um einen T-Wert höher liegende Therapieschwelle möglich (d.h. z.B. Therapie ab einem T-Wert von max. -2,5 statt -3,5):
A. periphere Fraktur, B. Schenkelhalsfraktur eines Elternteils, C. Nikotinkonsum, D. multiple Stürze, E. Immobilität
2. In Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation ist eine um max. einen T-Wert niedriger liegende Therapieschwelle möglich (d.h. z.B. Therapie ab einem T-Wert von max. -3,5 statt -2,5)
Quelle: DVO, Tabelle: ÄRZTE ZEITUNG
Wann eine medikamentöse Fraktur-Prophylaxe indiziert ist, richtet sich auch nach dem Geschlecht.

So haben etwa eine 50 Jahre alte Frau mit einem T-Wert von minus 4,5 und eine 70 Jahre alte Frau mit einem T-Wert von minus 2,5 ein ähnlich hohes Frakturrisiko - sofern sie noch keine manifeste Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen haben.

Aufgrund dieser Beobachtung wird eine spezifische medikamentöse Therapie zur Fraktur-Prophylaxe, etwa mit einem Bisphosphonat, bei Patienten ohne Wirbelkörperfrakturen nur noch dann empfohlen, wenn das geschätzte 10-Jahresrisiko für Wirbel- und proximale Femurfrakturen unter Berücksichtigung von Lebensalter und T-Wert der Knochendichtemessung 30 Prozent überschreitet.

Herausfinden lassen sich solche Patienten mit Hilfe einer einfachen Tabelle, die in der Leitlinie abgebildet ist. Vorgestellt wird sie jetzt auf dem Osteologie-Kongreß in Köln. Danach benötigen zum Beispiel 50- bis 55 Jahre alte Frauen nur noch dann eine spezifische Osteoporose-Therapie, wenn der T-Wert minus 4,5 unterschreitet. Sind sie jedoch Raucherinnen oder immobil, sollte schon ab einem Wert von minus 3,5 behandelt werden.

Patienten mit Wirbelkörperfrakturen sollen jedoch - unabhängig von Lebensalter und Geschlecht - ab einem T-Wert von minus 2,0 rasch eine medikamentöse Therapie erhalten, da bei ihnen das Risiko für weitere Brüche hoch ist.

Bei welchen Patienten sollte nach einer Osteoporose gefahndet und die Knochendichte bestimmt werden? Nach der neuen DVO-Leitlinie ist eine Basisdiagnostik zum Beispiel bei 50 bis 60 Jahre alten Frauen sowie bei 60 bis 70 Jahre alten Männern indiziert, wenn sie bereits Wirbelfrakturen oder periphere Frakturen nach einem Bagatelltrauma, also ohne hohe Krafteinwirkung hatten.

Bei 60 bis 70 Jahre alten Frauen und 70 bis 80 Jahre alten Männern ist eine Osteoporose-Diagnostik auch dann zu empfehlen, wenn sie Risikofaktoren haben wie Nikotinkonsum oder Immobilität. Bei über 70 Jahre alten Frauen und über 80 Jahre alten Männern wird eine Osteoporose-Diagnostik generell empfohlen, da sie allein aufgrund des hohen Alters ein erhöhtes Frakturrisiko haben.

Zur Basisdiagnostik gehören etwa eine spezifische Anamnese mit der Frage nach Rückenschmerzen und Ermittlung des Sturzrisikos. Außerdem sollte die Knochendichte bestimmt werden. Empfohlen wird hierfür nach wie vor die DXA (Dual Energy X-ray Absorptiometry)-Methode.

Patienten ohne Frakturen müssen diese Untersuchung jedoch nach wie vor selbst bezahlen. Empfohlen werden auch Laboruntersuchungen (etwa Blutbild, BSG/CRP, im Serum: Kalzium, Phosphat, Kreatinin, AP, TSH). Hiermit sollen vor allem sekundäre Osteoporosen und Differentialdiagnosen erfaßt werden. Zur Frakturklärung kann eine Röntgenaufnahme der BWS und LWS in zwei Ebenen gemacht werden.

Überarbeitet wurde die DVO-Leitlinie auch, was die fraktursenkende Medikation bei Osteoporose-Kranken betrifft. So werden jetzt für Frauen außer Alendronat, Raloxifen und Risedronat auch das Bisphosponat Ibandronat, Strontiumranelat sowie das Parathormonfragment Teriparatid (nur bei manifester Osteoporose) als Medikamente der ersten Wahl empfohlen. Bei ihnen sei die fraktursenkende Wirkung derzeit am besten belegt, heißt es in der Leitlinie.

Mit den genannten Präparaten läßt sich die Rate der Wirbelkörperfrakturen nach drei Jahren etwa halbieren. Für Alendronat, Risedronat, Strontiumranelat und Teriparatid ist auch eine Verminderung peripherer Frakturen nachgewiesen. Auch Östrogene sind nach der DVO-Leitlinie eine Option zur Fraktur-Prophylaxe, aber in der Regel nur dann, wenn vasomotorische Beschwerden wie Hitzewallungen der Haupteinnahmegrund sind.

Empfehlungen zur Medikation erweitert

Für Männer mit Osteoporose wird die Behandlung mit Alendronat empfohlen, da hiermit eine Verminderung von Wirbelkörperfrakturen nachgewiesen worden ist.

Zugelassen zur Behandlung bei Osteoporose sind auch Etidronat, Alfacalcidol, Calcitonin, Fluoride und Nandrolon Decanoat. Die Senkung von Wirbelkörperfrakturen sei mit diesen Präparaten allerdings nicht so gut in Studien belegt wie bei den in erster Linie empfohlenen Präparaten, heißt es in der Leitlinie.

Und: Eine periphere Fraktursenkung sei für diese Präparate mit Ausnahme von Alfacalcidol nicht belegt. Indiziert sind diese Präparate, wenn die Präparate der ersten Wahl nicht vertragen werden oder Patienten diese ablehnen.

Die neue Leitlinie zu Osteoporose steht demnächst im Internet unter: www.lutherhaus.de/osteo/leitlinien-dvo



STICHWORT

Messung der Knochendichte

Die Messung der Knochenmineraldichte, auch Osteodensitometrie genannt, ist eine wichtige Methode, um das Frakturrisiko bei Osteoporose zu ermitteln. Standard für diese Art der Diagnostik ist nach wie vor die DXA (Dual Energy X-ray Absorptiometry)-Messung. Sie erlaubt bei nur geringer Strahlenbelastung eine genaue Messung des Kalzium-Hydroxylapatitgehalts im Knochen und läßt daher auf die Knochenmasse schließen. Beurteilt wird sie in der Regel nach dem T-Wert, das heißt nach der Standardabweichung von der durchschnittlichen Knochendichte eines jungen, gesunden Erwachsenen.

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