Prävention

Planlos gegen Diabetes

Über eine halbe Million Menschen erkranken bei uns jährlich an Diabetes. Die Nationale Diabetesstrategie fehlt immer noch – und Diabetiker bekommen oft die Schuld an ihrer Krankheit zugeschoben, so ein Facharzt.

Von Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Gute Idee oder Schuss in den Ofen?:eine Diabetesstrategie ohne Ernährungsansätze.

Gute Idee oder Schuss in den Ofen?: eine Diabetesstrategie ohne Ernährungsansätze.

© Coloures-pic / Fotolia

Berlin. In keinem Land Europas erkranken so viele Menschen an Diabetes wie in Deutschland. Im neuen Atlas der „International Diabetes Federation“ (IDF) wird die Zahl der Betroffenen bei uns auf 9,5 Millionen geschätzt, darunter 4,5 Millionen mit bisher unerkannter Erkrankung (siehe Karte am Textende). Die ermittelte Prävalenz habe sich damit binnen zwei Jahren um 25 Prozent erhöht.

„Diese alarmierenden Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, die im Koalitionsvertrag 2018 festgelegte nationale Diabetesstrategie endlich umzusetzen“, hat Dr. Jens Kröger aus Hamburg bei einer Pressekonferenz von „diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe“ zum Weltdiabetestag betont.

Der Streit zwischen Ministerien zu Ernährungsmaßnahmen und die Untätigkeit der Politik trage zu Verdrossenheit bei, so Kröger: In einer Umfrage mit 1500 Diabetikern aus dem Sommer fühlten sich 86 Prozent nicht angemessen von der Politik vertreten, weit über 80 Prozent meinten, die Öffentlichkeit nehme Diabetes nicht ernst und sei schlecht darüber informiert; 38 Prozent fühlten sich stigmatisiert.

Manche Schulen nehmen keine Diabetiker auf

Ein Beispiel gab Dr. Klaus-D. Warz, Co-Vorsitzender der Deutschen Diabetiker Allianz: Immer mehr Kitas und Grundschulen weigerten sich, zuckerkranke Kinder aufzunehmen. In Thüringen zum Beispiel gehe das bis hin zur Einzelbeschulung, was Betroffene isoliert.

Im Ernährungsausschuss kommt man nicht zusammen. Deshalb kommt wahrscheinlich eine Strategie ohne Ernährungsansätze.

Dietrich Monstadt, CDU-Gesundheitspolitiker

In Baden-Württemberg und Hessen gebe es hingegen Modellprojekte mit Gesundheitsfachkräften an Schulen, die die Kinder mitbetreuen und Verständnis bei Mitschülern und Lehrern schaffen.

Kröger warnte auch davor, dass Typ-2-Diabetikern zunehmend Schuldgefühle vermittelt würden, weil sie die Krankheit durch Fehlernährung und Bewegungsmangel selbst verursacht hätten.

Dem trat Professor Wolfgang Rathmann vom Deutschen Diabetes Zentrum in Düsseldorf entgegen: Jeder fünfte Typ-2-Diabetiker sei gar nicht übergewichtig, vor allem auch die Gene seien an der Pathogenese beteiligt, erinnerte er. Und dass besonders sozial Schwache erkrankten, liege oft auch am Wohnumfeld: Günstige Mieten gebe es besonders in Vierteln mit hoher Lärm- sowie Feinstaubbelastung und ohne Grünanlagen. All das fördere Diabetes und sei auch ein Thema für Städteplaner.

Bessere Diabetes-Früherkennung nötig!

Kröger sorgt sich vor allem auch um die Diabetes-Früherkennung und appelliert an Hausärzte, die Gesundheitsuntersuchung dafür verstärkt zu nutzen. Nach der Diagnose müssten Patienten intensiv und individuell beraten werden. Dazu sei eine angemessene Vergütung der „Sprechenden Medizin“ nötig – auch das eine Forderung zur Strategie.

Dietrich Monstadt von der CDU erwartet bis spätestens März 2020 eine abgespeckte Diabetesstrategie. Darin fehle der im Ernährungsausschuss nicht konsensfähige Ernährungsteil, sagte der Gesundheitspolitiker am Donnerstag in Berlin. „Man muss natürlich darüber diskutieren, ob eine Diabetesstrategie ohne Ernährungsansätze genauso durchschlagskräftig ist“, sagte Monstadt. (Mitarbeit: hom)

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Kommentare
Neubauer 20.11.201914:13 Uhr

"angemessene Vergütung der „Sprechenden Medizin“ " - ja bitte! Endlich wird auch das als ganz wesentlicher Teil der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen auf dem Spektrum der Diabesity (Diabetes + Obesity) formuliert. Nicht nur Labor und Tabletten. "Haben Sie Heißhunger auf Süßes/Stärkehaltiges?" Diese Frage, zusammen mit der Blickdiagnostik Taille > Hüftumfang, sagt schon eine ganze Menge aus (nämlich Insulinresistenz!).

Dann aber was tun? 1 x pro Quartal 15,69€ (ab 59 J 15,91€) für mich als Frauenärztin - das ist alles. Dabei hat (Prä)-Diabetes auf nahezu alle gynäkologisch/geburtshilflichen Fragen Einfluss: Zyklus, Fertilität, Fehlbildugsrisiko, Schwangerschafts- und Geburtshilfliche Risiken, Kontrazeption, Thromboserisiko, Krebsrisiko, Depressionsrisko...

Bei den Hausärzten nicht viel besser! (13,20€ + "Chronikerzuschlag" 14,07€ / Quartal).

Wenn wir bedenken, wie teuer Diabetes bzw Prädiabetes (Hyperinsulinämie) sind, ist das doch Wahnsinn! Wo sind denn zum Beispiel die früheren Ziffern 17 und 18 geblieben (Beratung bei lebensverändernden Umständen)?

Die Beratungsmedizin muss dringend wirtschaftlich tragbar werden.

Ruth Neubauer, Frauenärztin (Ober-Ramstadt), Ernährungsmedizin

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