Rauchen und östrogenhaltige Kontrazeptiva sind bei Migräne tabu
Migränepatienten leiden nicht nur an den regelmäßig wiederkehrenden Kopfschmerzattacken und Übelkeit, sondern einige von ihnen haben auch ein erhöhtes Risiko für ischämische Insulte. In Studien haben sich inzwischen Risikofaktoren wie Migräne mit Aura und Rauchen herauskristallisiert. Zudem haben Migränepatienten offenbar auch ein schlechteres kardiovaskuläres Risikoprofil als Gesunde.
Veröffentlicht:Axel Heinze, Katja Heinze-Kuhn und Hartmut Göbel
Bei Frauen mit Migräne ist in mehreren retrospektiven Studien und Metaanalysen eine höhere Rate an Schlaganfällen beobachtet worden als bei Frauen ohne Migräne. Wie hoch ist das Risiko für Migränepatientinnen, einen Schlaganfall zu erleiden?
Nach den Ergebnissen einer im Januar im British Medical Journal publizierten Metaanalyse von 14 Studien, die zwischen 1975 und 2004 veröffentlicht worden sind, haben Migränepatienten ein relatives Risiko von 2,16, einen Schlaganfall zu erleiden.
Differenziert man zwischen den beiden Hauptformen Migräne mit Aura und Migräne ohne Aura, so ergibt sich bei Migräne mit Aura ein etwas höheres relatives Risiko von 2,27 als bei Migräne ohne Aura mit einem relativen Risiko von 1,83 (BMJ 330, 2005, 63).
Nahezu zeitgleich wurden in der Zeitschrift Neurology Daten aus der Women’s Health Study veröffentlicht. In dieser langjährig angelegten prospektiven Studie mit Frauen aus Gesundheitsberufen im Alter von über 45 Jahren hatten Patientinnen ein gering erhöhtes relatives Risiko von 1,71 für einen ischämischen Insult, wenn sie unter einer Migräne mit Aura litten. Hingegen war für Migränepatientinnen allgemein und Patientinnen mit Migräne ohne Aura kein erhöhtes Risiko festzustellen (Neurology 65, 2005, 1020).
Faktoren, die das Risiko für Schlaganfälle bei Migränepatienten erhöhen
- Migräne mit Aura
- Nikotinkonsum
- Einnahme östrogenhaltiger oraler Kontrazeptiva
- Mindestens eine Migräneaura im Monat
- Persistierendes Foramen ovale
Besonders die Kombination dieser Risikofaktoren steigert das Schlaganfall-Risiko beträchtlich.
Betrachtet man alle Daten zusammen, leitet sich für Migränepatientinnen allgemein zwar ein signifikant erhöhtes Schlaganfallrisiko ab. Wegen der geringen Erhöhung ist es jedoch klinisch eher als nicht relevant einzuschätzen. Betrachtet man jedoch ausgewählte Subpopulationen, kommt man zu anderen Beurteilungen.
So hatten in der erwähnten Metaanalyse die Migränepatientinnen, die auch orale Kontrazeptiva einnahmen, ein deutlich erhöhtes relatives Schlaganfallrisiko von 8,72.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die WHO Collaborative Study of Cardiovascular Disease and Steroid Hormone Contraception bei Frauen zwischen 20 und 44 Jahren: Bei Frauen, die östrogenhaltige Kontrazeptiva einnahmen, betrug das relative Risiko für einen ischämischen Hirninfarkt 6,59, ohne hormonelle Kontrazeption dagegen 2,27.
Aber auch durch das Rauchen kommt es zu einer deutlichen Erhöhung des relativen Risikos auf 7,39 versus 1,56 bei Nichtrauchern. Die Kombination aus Migräne, oraler Kontrazeption und Rauchen erhöhte das relative Risiko exponentiell auf 34,4 (BMJ 318, 1999, 13).
Studien haben zudem übereinstimmend ergeben, daß das Risiko eines Schlaganfalles ebenfalls signifikant erhöht ist, wenn die Patientinnen pro Monat mehr als eine Migräneattacke, besonders aber mehr als eine Migräne mit Aura hatten (JAMA 291, 2004, 427; J Neurol Neurosurg Psychiatry 73, 2002, 747).
Hämorrhagische Schlaganfälle sind äußerst selten
Grundsätzlich können bei Migränepatienten Schlaganfälle unabhängig von Migräneattacken auftreten oder aus einer Migräneaura heraus. Nur in letzterem Fall liegt nach der aktuellen Kopfschmerzklassifikation der International Headache Society (IHS) von 2004 ein migränöser Infarkt vor. Migränöse Infarkte sollen zwischen 20 bis 40 Prozent aller Schlaganfälle bei jungen Migränepatientinnen (unter 45 Jahren) ausmachen. Bei Frauen über 45 Jahren sinkt der Anteil dann auf etwa zehn Prozent.
Schlaganfall-Risiko bei Migränepatienten läßt sich senken
- Keine Triptane - bei Durchblutungsstörungen - bei Hypertonikern mit unzureichend eingestelltem Blutdruck - bei hemiplegischer Migräne oder Basilarismigräne
- Triptane erst nach Abklingen einer Aura
- Kontrazeption ohne Östrogene
Therapeutische Konsequenzen, die sich aus dem erhöhten Schlaganfall-Risiko ergeben.
Bildet sich eine Migräneaura nach einer Dauer von einer Woche nicht zurück und kann bildgebend kein Hirninfarkt dargestellt werden, handelt es sich nach der IHS um eine persistierende Aura ohne Hirninfarkt. Neurologische Ausfälle können dauerhaft bestehen bleiben.
Alle Studien haben übereinstimmend ergeben, daß Migränepatientinnen überwiegend ischämische Insulte erleiden, hämorrhagische Infarkte sind die Ausnahme. Während bei den Frauen ab 45 Jahren in der Women’s Health Study keine Hirnregion oder kein Gefäßterritorium überrepräsentiert war, ist bei jüngeren Frauen vornehmlich das hintere Stromgebiet betroffen, wobei hier Kleinhirninfarkte besonders häufig sind.
Migräneaura ist ein Schlaganfall-Risikofaktor
Als mögliche Mechanismen für die Entstehung von migränösen Infarkten werden eine erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes, zerebrale Vasospasmen und ein erniedrigter regionaler zerebraler Blutfluß in der Migräneaura diskutiert. Noch unklar ist, welche Bedeutung hier ein offenes Foramen ovale hat, daß sich vor allem bei Migränepatienten mit Aura signifikant häufiger findet.
Dieses könnte paradoxe Embolien ermöglichen. In Fallstudien führte ein Verschluß des offenen Foramen ovale zu einer signifikanten Abnahme der Migräne- und Aurahäufigkeit (Cerebrovasc Dis 13, 2002, 102).
Migränepatientinnen haben offenbar auch ein signifikant schlechteres kardiovaskuläres Risikoprofil als Gesunde, wie eine aktuelle Studie aus Holland nahelegt (Neurology 64, 2005, 614). So trinken holländische Migränepatienten zwar weniger Alkohol, rauchen aber häufiger und haben häufiger eine positive Familienanamnese für Myokardinfarkte. Bei Migränepatienten mit Aura wurden zusätzlich signifikant häufiger erhöhte Blutdruck- und Cholesterinwerte festgestellt. Außerdem nahmen die betroffenen Frauen überdurchschnittlich häufiger Kontrazeptiva ein.
Nicht verschwiegen werden sollte jedoch, daß viele Migränepatientinnen, die einen Schlaganfall erleiden, außer dem Auftreten von Auren keinen der genannten klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren aufweisen, so daß Auren per se als ein Risikofaktor angesehen werden müssen.
Eindeutig belegt worden ist, daß die Therapie mit Triptanen während einer Migräneattacke das Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörungen oder Tod nicht erhöht (Neurology 62, 2004, 563).
Im Gegenteil weisen die mit Triptanen behandelten Patienten ein im Vergleich zu allen Migränepatienten vermindertes Risiko für diese Ereignisse auf. Dies dürfte daran liegen, daß bekannte oder vermutete Gefäßprozesse klassische Kontraindikationen für den Einsatz von Triptanen sind. Werden die Anwendungsbeschränkungen beachtet, sind Triptane sichere Medikamente.
Medikamentöse Prophylaxe bei häufiger Migräne
Welche therapeutischen Konsequenzen leiten sich aus dem erhöhten Schlaganfallrisiko für Migränepatienten ab?
Bei Beachtung aller Kontraindikationen, wie Durchblutungsstörungen oder nicht ausreichend gesenkter arterieller Hypertonus, sind Triptane sichere Medikamente zur Akuttherapie von Patienten mit einer Migräneattacke. Bei Patienten mit Aura sollte ein Triptan erst angewandt werden, wenn die Aura abgeklungen ist. Grundsätzlich dürfen Triptane jedoch nicht bei einer hemiplegischen Migräne oder einer ausgeprägten Basilarismigräne mit prolongierten Auren (mehr als eine Stunde andauernd) eingesetzt werden.
Migränepatientinnen sollten keine östrogenhaltigen Kontrazeptiva einsetzen und nicht rauchen. Dies gilt besonders für Patientinnen, die unter Migräne mit Aura leiden. Bei den meisten östrogenhaltigen Kontrazeptiva findet sich übrigens als Kontraindikation der überholte Begriff der Migraine accompagnée.
Vor allem bei Patienten mit häufiger Migräne mit Aura (mindestens eine Attacke pro Monat) sollte die Indikation zu einer medikamentösen Migräne-Prophylaxe großzügig gestellt werden. Außer den Standardprophylaktika kann auch der Einsatz von Acetylsalicylsäure (300 mg / Tag) zur Sekundärprophylaxe eines Infarkts erwogen werden.
Bei Patienten mit untypischen Auren (Art, Häufigkeit, Dauer) sollte abgeklärt werden, ob ein offenes Foramen ovale vorliegt. Gegebenenfalls sollte dann eine kausale Therapie eingeleitet werden.
Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel, Heikendorfer Weg 9-27, 24149 Kiel, Tel.: 0431 / 200-9950, Fax: 200-9935, E-Mail: Kiel@schmerzklinik.de, www.schmerzklinik.de