Schmerzantwort „hoch drei“

Schmerz löst im Gehirn diese Reaktionen aus

Schmerzreize lösen im Gehirn mindestens drei Reaktionen aus: Wahrnehmung, Handlungsimpuls und Energiebereitstellung. Diese laufen allerdings nicht nacheinander ab, sondern gleichzeitig und unabhängig voneinander, wie Forscher herausgefunden haben.

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MÜNCHEN. Wer auf eine heiße Herdplatte fasst, zieht die Hand ja im Regelfall wegen des empfundenen Schmerzes schnell zurück.

Ein Forscherteam der Technischen Universität München (TUM) hat nun herausgefunden, dass Wahrnehmung, Handlungsimpuls und die Energiebereitstellung für die darauf folgende Reaktion dabei gleichzeitig und nicht erst nacheinander im Gehirn entstehen (Nature Comm 2018; 9:4487).

Unter der Leitung von Professor Markus Ploner untersuchten die Münchner Wissenschaftler, wie genau im Gehirn ein schmerzhaftes Ereignis verarbeitet wird.

Sie stellten dabei nach eigenen Angaben erstmals fest, dass das Gehirn auf einen Schmerzreiz mit mindestens drei unterschiedlichen Antworten reagiert – und dass diese gleichzeitig und nicht abhängig voneinander im Gehirn ablaufen. Die Ergebnisse könnten grundlegende Auswirkungen auf das Verständnis und die Behandlung von Schmerzpatienten haben, berichtet die TUM.

Drei Faktoren des Schmerzes

Schmerz bestehe aus mindestens drei Faktoren, so die Universität: Der Wahrnehmung, der Handlung und der Reaktion des autonomen Nervensystems, das die notwendige Energie für das Handeln bereitstellt.

Um das Zusammenspiel dieser drei Faktoren genauer zu untersuchen, setzten die Forscher in ihrer Studie 51 gesunde Probanden kurzen, unterschiedlich starken Schmerzreizen (geringer, mittlerer und starker Schmerz) in Form von Laser-Stimuli auf dem Rücken der linken Hand aus. Die Laser-Stimuli dauerten jeweils zwischen acht und zwölf Sekunden an und aktivierten spezifisch nozizeptive Nervenfasern.

  • Um die Schmerzwahrnehmung zu bestimmen, sollten die Studienteilnehmer die wahrgenommene Stärke des Reizes auf einer Skala von 0 Punkten (kein Schmerz) bis 100 Punkte (kaum mehr zu ertragender Schmerz) bewerten.
  • Die Handlungskomponente untersuchten die Wissenschaftler um Ploner anhand der Reaktionszeit, die die Teilnehmer benötigten, um ihre Hand als Antwort auf die Schmerzreize zurückzuziehen.
  • Um auch die dritte Schmerzkomponente, die Reaktion des autonomen Nervensystems auf den Reiz, zu bestimmen, maßen sie die Schweißproduktion in den Handinnenflächen. Gleichzeitig wurde die Hirnaktivität der Studienteilnehmer mithilfe eines EEGs registriert.

Überraschung für die Forscher

Für die Auswertung verwendeten Ploner und sein Team ein statistisches Verfahren, die sogenannte Mediationsanalyse. Dieses Verfahren sei in den Sozialwissenschaften inzwischen gut etabliert, heißt es in der Mitteilung, und von den Münchner Wissenschaftlern in ihrer Studie nun erstmals auf EEG-Daten angewendet worden.

Mit diesem Ansatz konnten Ploner und sein Team schlußendlich herausfinden, welche Hirnantworten an der Umsetzung der drei Schmerzkomponenten beteiligt sind, und wann genau diese Antworten ausgelöst werden.

Das Ergebnis der Auswertungen überraschte die Wissenschaftler: „Wir konnten erstmals sehen, dass die Hirnantworten für die Schmerzkomponenten nicht nacheinander ablaufen, sondern teilweise gleichzeitig“, wird die Erstautorin der Studie, Dr. Laura Tiemann, in der Mitteilung der TUM zitiert.

„Das heißt, dass die Handlungsvorbereitung und die Energiebereitstellung nicht vollständig von der Schmerzwahrnehmung abhängen, sondern teilweise unabhängig davon umgesetzt werden.“ Was zunächst abstrakt klinge, könnte auch für Patienten mit chronischen Schmerzen wichtig sein, heißt es in der Mitteilung weiter.

Ganzheitliche Schmerztherapie

Studienautor Ploner empfiehlt für eine umfassende Schmerztherapie, alle drei Komponenten des Schmerzes im Auge zu behalten: „Bei chronischen Schmerzpatienten sind möglicherweise nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch die Vorbereitung und Durchführung von Handlungen gegen den Schmerz sowie die Energiebereitstellung verändert.“

Die Befunde seien somit ein biologisches Argument für eine Schmerztherapie, die den Schmerz ganzheitlich mit all seinen Komponenten umfasst. Das beinhalte sowohl psychotherapeutische und medikamentöse als auch physiotherapeutische Therapien, erklärt Ploner. (eb/bae)

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