Duale Plättchenhemmung

Score soll Ärzten bei Therapie-Entscheidung helfen

Eine längerfristige duale Plättchenhemmung nach perkutaner Koronarintervention beugt Herzinfarkten vor, erhöht aber auch das Blutungsrisiko. Ein neu entwickelter Risikoscore soll bei der individualisierten Entscheidung helfen, wer von dieser Therapie profitiert und wer nicht.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Tagung der American Heart Association (AHA) in Orlando. Hier wurde kürzlich die DAPT-Studie vorgestellt.

Tagung der American Heart Association (AHA) in Orlando. Hier wurde kürzlich die DAPT-Studie vorgestellt.

© Peter Overbeck

ORLANDO. Die optimale Dauer einer dualen Antiplättchen-Therapie (DAPT) mit ASS und einem Thienopyridin wie Clopidogrel nach perkutaner Koronarintervention (PCI) ist unklar.

In der großen DAPT-Studie sollte die Frage geklärt werden, indem eine dreijährige mit einer einjährigen Behandlungsdauer verglichen wurde.

11.648 PCI-Patienten, die alle bereits 12 Monate lang eine duale Plättchenhemmung erhalten hatten, sind zwei Gruppen zugeteilt worden: In der einen wurde die duale Therapie für weitere zwei Jahre fortgesetzt, in der anderen Clopidogrel oder Prasugrel absetzt und allein mit ASS weiterbehandelt.

Ergebnis: Die verlängerte duale Plättchenhemmung reduzierte die Inzidenz von Stentthrombosen und Herzinfarkten, allerdings auf Kosten einer erhöhten Inzidenz von schwerwiegenden Blutungen.

Generelle Empfehlung nicht möglich

Eine uneingeschränkte Empfehlung, die duale Plättchenhemmung bei allen PCI-Patienten über die Dauer von 12 Monaten hinaus zu verlängern, lässt sich auf der Grundlage dieser Ergebnisse nicht geben.

Die Entscheidung kann nur individuell unter Abwägung des Risikos für ischämische Ereignisse sowie des Blutungsrisikos getroffen werden, lautet die Konsequenz aus den Studienergebnissen. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Auf der Grundlage der DAPT-Studiendaten haben die Autoren jetzt eine Entscheidungshilfe in Form eines klinischen Risikoscores (DAPT Score) entwickelt.

Dazu sind unter Einbeziehung von 37 klinischen Variablen zwei Prädiktionsmodelle entworfen worden, um einerseits das Risiko für ischämische Ereignisse, andererseits das Risiko für moderate bis schwere Blutungen vorauszusagen.

Ins Verhältnis gesetzt soll sich damit der therapeutische Nettoeffekt (net treatment effect: Reduktion ischämischer Ereignisse abzüglich zu erwartender Blutungen) der verlängerten dualen Plättchenhemmung für einen Patienten individuell voraussagen lassen.

Wichtigster Prädiktor für das Blutungsrisiko

Als wichtigster Prädiktor für das Blutungsrisiko erwies sich das Alter, berichtete Dr. Robert Yeh aus Boston, der den neuen DAPT-Score beim Kongress der American Heart Association (AHA) in Orlando vorgestellt hat.

Dieser Risikoprädiktor ist in Form von drei Altersklassen (unter 65 Jahre, 65 bis 75 Jahre, über 75 Jahre) im Score berücksichtigt worden.

Andere Faktoren wie Hypertonie, PAVK und Niereninsuffizienz waren gleichermaßen prädiktiv für das Ischämie- und Blutungsrisiko, sie gingen mangels diskriminierender Aussagekraft deshalb nicht in den Score ein.

Dagegen ließen sich anhand von Prädiktoren wie vorangegangener Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Rauchen, Diabetes oder auch kleinem Stent-Durchmesser Patienten identifizieren, bei denen der Nutzen klar das Blutungsrisiko überwog.

Die Prädiktoren sind mit Scorepunkten im Minus- und Plusbereich bewertet worden, so etwa hohes Alter (älter als 75 Jahre) mit -2 (starker Blutungsprädiktor), Herzinsuffizienz dagegen mit +2 (starker Prädiktor für Reduktion ischämischer Ereignisse).

Wie Yeh berichtete, konnten anhand des Scores ziemlich genau diejenigen Patienten identifiziert, die den größten zu erwartenden Nutzen von einer verlängerten dualen Plättchenhemmung hatten, und ebenso diejenigen, bei denen unter dieser Therapie das Blutungsrisiko überwog.

So mussten bei einem DAPT-Score < 2 nur 64 Patienten behandelt werden, um eine Blutung zu provozieren, dagegen 153, um ein ischämisches Ereignis zu verhindern.

Dieses ungünstige Verhältnis signalisiert, dass auf eine verlängerte duale Plättchenhemmung besser verzichtet werden sollte. Umgekehrt verhielt sich die Sache bei einem DAPT-Score > 2.

In diesem Fall mussten nur 34 Patienten länger als 12 Monate behandelt werden, um ein ischämisches Ereignis zu verhindern, dagegen 272, um ein Blutungsereignis zu provozieren. So überwiegt klar der Nutzen dieser Therapie.

Score hat Limitierungen

DAPT Score sei die erste evidenzbasierte Entscheidungshilfe, die gleichzeitig individualisierte Auskunft über Risiken und Nutzen einer plättchenhemmenden Therapie bei PCI-Patienten gibt, so Yeh. Ein Web-basierter DAPT-Score-Kalkulator soll demnächst zur Verfügung stehen.

Allerdings hat der Score auch Limitierungen. So sind die Prädiktionsmodelle nicht evaluiert für Patienten, die etwa mit Ticagrelor behandelt werden. Zudem gilt der Score nur für PCI-Patienten, die bereits ein Jahr lang eine duale Plättchenhemmung ohne Blutungskomplikationen erhalten haben.

Das könnte seine Anwendung in Europa beschränken. Denn hier geht der Trend eher dahin, die Dauer der dualen Plättchenhemmung nach Implantation von Drug-eluting Stents (DES) auf sechs oder drei Monate oder gar nur einen Monat zu verkürzen statt zu verlängern.

Sollte sich aber in weiteren Studien erweisen, dass der DAPT-Score tatsächlich akkurat die klaren Nutznießer einer prolongierten dualen Therapie unter den PCI-Patienten identifiziert, müssen wohl auch die europäischen Kardiologen umdenken.

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