Tipps vom Experten

Sollte Diabetes mit Medikamenten vorgebeugt werden?

Bei hohem Diabetesrisiko können Arzneien die Manifestation der Krankheit verzögern. Lebensstiländerungen sind zur Prävention aber vorzuziehen.

Von Prof. Hellmut Mehnert Veröffentlicht:

© sbra

Zwischen Gesundheit mit Normoglykämie und Typ-2-Diabetes-Erkrankung machen Betroffene eine Phase des Prädiabetes mit gestörter Glukosetoleranz durch. Schon in dieser Phase ist das kardiovaskuläre Risiko erhöht, und es wäre eine Therapie wünschenswert (dies steht leider im Widerspruch zu unseren deutschen Bestimmungen).

Wird dabei die Glukosetoleranz verbessert, lassen sich die Manifestation des Diabetes verzögern oder sogar verhindern und somit auch das kardiovaskuläre Risiko verringern.

Auch würde der mit der Hyperglykämie assoziierten Mikroangiopathie und Neuropathie vorgebeugt. Für eine solche Prävention im prädiabetischen Stadium bieten sich drei Möglichkeiten an.

Im Vordergrund stehen natürlich Lebensstiländerungen. In der finnischen "Diabetes Prevention Study" an der 522 Probanden mit gestörter Glukosetoleranz teilnahmen, wurde durch gesunde Kost und Bewegung die Erkrankungsrate binnen drei Jahren von 23 auf 10 Prozentpunkte gesenkt, das heißt um relative 58 Prozent.

Professor Hellmut Mehnert

Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten widmet sich Professor Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.

Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.

Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.

Ähnliche Ergebnisse wurden im "Diabetes Primary Prevention Trial" in den USA erzielt. Diese Präventionsform ist sicher der Königsweg.

Als ultima ratio etwa bei extrem adipösen Menschen mit BMI über 40 kg/m2 kommt die bariatrische Chirurgie in Betracht. Hiermit werden hervorragende Ergebnisse erzielt. Die Entscheidung zum Eingriff muss allerdings gegen Operationsrisiken abgewogen werden.

Besonders aktuell ist die medikamentöse Prävention in der prädiabetischen Phase, die mit verschiedenen Substanzen in Studien geprüft worden ist. Unter Metformin gab es eine relative Risikoreduktion von 30 Prozent gegenüber der Placebogruppe in einem Arm des "Diabetes Primary Prevention Trial".

Mit Acarbose gelang in der STOP NIDDM-Studie eine Reduktion der Manifestationsrate um 25 Prozent. Hier gab es auch günstige Einflüsse auf den Blutdruck und die Herzinfarktrate.

Verschiedene Ansätze gab es mit den Glitazonen. Unter Troglitazon (wegen Hepatotoxizität nicht mehr auf dem Markt) sank das Risiko für einen Typ-2-Diabetes bei Frauen mit früherem Gestationsdiabetes um 55 Prozent. Unter Rosiglitazon (seit November 2010 nicht mehr im Handel) sank das Erkrankungsrisiko um 62 Prozent.

Besonders bemerkenswert sind jetzt die Ergebnisse einer Studie mit Pioglitazon (NEJM 2011; 364: 1104). Mit der Substanz wurde die Diabetes-Manifestationsrate binnen 2,4 Jahren bei Menschen mit gestörter Glukosetoleranz um relative 72 Prozent verringert.

Die Behandlung mit Pioglitazon war im Vergleich zu Placebo mit signifikanten Verbesserungen von Nüchternblutzucker, Glukosetoleranz und HbA1c verbunden. Zudem sank der diastolische Blutdruck, die Rate an Intima-Media-Verdickungen der Carotis war verringert, und es gab einen Anstieg des "guten" HDL-Cholesterins.

Von Nachteil waren allerdings eine deutliche Gewichtszunahme (3,9 kg im Vergleich zu 0,77 kg unter Placebo) und die bekannten häufigeren Ödeme (12,9 versus 6,4 Prozent unter Placebo).

Was soll man also tun? Sicherlich stehen bei Menschen mit Prädiabetes die Lebensstiländerungen im Vordergrund. Hier sollte den Ärzten die Schulung der Patienten honoriert werden.

Bei einer möglichen medikamentösen Prävention wäre Metformin der Vorzug zu geben, da die Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Substanzen eher gering sind. Die Therapie mit Metformin ist gewichtsneutral oder führt sogar zu einer leichten Gewichtsabnahme.

Die antikarzinogene Wirkung der Substanz ist ein günstiger Nebeneffekt, zumal bei Diabetes generell das Krebsrisiko erhöht ist. Und schließlich kommt hinzu, dass Metformin sehr kostengünstig ist.

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