Hintergrund

Teufelszeug Plutonium

Nach der Katastrophe in Japan geht die Angst vor dem als hochgiftig geltenden Plutonium um. Es ist als Alpha-Strahler radioaktiv und als chemischer Stoff toxisch. Es erhöht das Krebsrisiko, doch weniger als befürchtet.

Von Angela Speth Veröffentlicht:

Pu - in der Natur selten, künstlich tonnenweise

Plutonium - Symbol Pu, Ordnungszahl 94 - wurde 1940 von US-Forschern entdeckt. Bisher sind 20 Isotope und 15 Kernisomere mit Massenzahlen von 228 bis 247 vermessen. Ihre Halbwertszeiten reichen von Sekunden bis 80 Millionen Jahre. Das unedle Schwermetall gehört zu den schwersten und seltensten Elementen der Erdkruste. Größere Mengen werden künstlich in Kernkraftwerken und -waffen erzeugt, wie in der Bombe auf Nagasaki am 9. August 1945. Durch oberirdische Tests wurden von 1945 bis 1980 - weltweit nachweisbar - etwa vier Tonnen frei, teilt das Bundesamt für Strahlenschutz mit. Weiteres Material stammt aus Unfällen mit Kernwaffen und in Laboratorien, dem Absturz eines Satelliten mit Plutonium-Batterie und der Aufarbeitungsanlage Sellafield. Mischoxid(MOX)-Brennelemente enthalten außer Urandioxid noch Plutoniumdioxid.

Plutonium ist benannt "nach dem Planeten Pluto, aber angesichts der infernalischen Wirkung der Plutonium-Bombe erscheint die Ableitung des Namens von Pluto, dem Gott der Unterwelt, gerechtfertigter!", schreiben die Autoren eines namhaften Chemie-Lehrbuchs.

Ebenso wird in Meldungen zu Fukushima fast gebetsmühlenartig die Bedrohung beschworen: "Atommeiler mit MOX-Brennelementen enthalten hochgiftiges Plutonium und sind darum besonders gefährlich."

Was hat es mit diesem angeblichen Teufelszeug wirklich auf sich? "Ob es das gefährlichste radioaktive Element ist, dafür gibt es keine sicheren Anhaltspunkte", sagte der Strahlenbiologe Professor Mike Atkinson der "Ärzte Zeitung".

Tierversuche und epidemiologische Studien in Kernwaffenfabriken sprächen dagegen: "Selbst Arbeiter, die große Mengen aufnahmen, lebten noch 50, 60 Jahre", berichtete der Experte vom Institut für Strahlenbiologie am Helmholtz Zentrum München.

Zwar seien die Krebsraten abhängig von der aufgenommenen Dosis erhöht gewesen, aber doch um Zehnerpotenzen weniger als befürchtet.

Die Radioaktivität, die Krebs auslösen kann, ist die gravierendere der beiden Wirkkomponenten von Plutonium: Der zerfallende Atomkern strahlt Alpha-Teilchen ab, Heliumkerne mit zwei Protonen und zwei Neutronen.

Für die Haut sind sie weniger schädlich, weil sie nur eine geringe Reichweite haben und schon durch die obere Hornschicht abgeschirmt werden.

Schlimmer wirkt es sich aus, wenn Plutonium mit der Atemluft, mit der Nahrung oder über Wunden in den Körper gelangt: Denn dann sind die Zellen den Strahlen ungeschützt ausgesetzt.

Dieses inkorporierte Plutonium kann schon in winzigsten Mengen Unheil anrichten. Nach dem Einatmen von nur 50 mg stirbt bereits jeder zweite Mensch sofort.

Inhaliertes Plutonium bleibt bis zu Jahrzehnten in der Lunge. Allerdings, erläuterte Atkinson, habe sich eine frühere These nicht bestätigt: Demnach sollte es für die Alveolen besonders kritisch sein, weil unlösliche Partikel dort zu stark strahlenden "hot spots" verklumpen.

Mit Lebensmitteln aufgenommenes Plutonium wird zum größten Teil wieder ausgeschieden, nur etwa 0,05 Prozent gehen - je nach Alter - ins Blut über, bei Kleinkindern kann es jedoch ums Zehnfache mehr sein.

Von der Lunge oder vom Magen-Darm-Trakt aus verteilt sich das silbrige Metall, gebunden an Proteine des Blutplasmas, im ganzen Körper und reichert sich in Knochen, Leber und den Lymphknoten an. Die Folge: ein erhöhtes Risiko für Lungen-, Knochen- und Leberkrebs sowie Leukämie.

Derzeit werden in einem internationalen Projekt im Südural die medizinischen Folgen der Plutonium-Exposition bestimmt. Unerklärlich sei ein paradoxer Effekt, Hormesis genannt, den man etwa auch für Radonkuren beanspruche, sagte Atkinson: Bei niedrigen Strahlendosen ist die Tumorrate sogar verringert.

Plutonium schädigt den Körper noch auf eine zweite Weise: In ähnlichem Ausmaß wie andere Schwermetalle, zum Beispiel Quecksilber oder Blei, ist es auch als chemischer Stoff giftig, besonders für die Nieren, aber auch für Knochen und Leber.

In Japan liege - zumindest nach offiziellen Angaben - der Plutoniumgehalt in Proben erst knapp über der Nachweisgrenze, so Atkinson.

Falls die Konzentrationen steigen: Ein Strahlenrisiko bedeute entwichenes Plutonium nur für Japan selbst, nicht aber für umliegende Länder.

Zumal sei eine Verbreitung über Luftströmungen der Atmosphäre bis nach Europa wegen fehlender Konvektion "sehr unwahrscheinlich".

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