Schlafstörung mit tödlichen Folgen

Triggert nächtlicher Fluglärm kardiovaskuläre Ereignisse?

Wer in der Nähe eines Flughafens wohnt, ist ohnehin dauerlärmgeplagt. Eine Schweizer Studie legt jetzt nahe, dass nächtlicher Fluglärm sogar für einen Teil der kardiovaskulären Ereignisse mit Todesfolge verantwortlich sein könnte.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Immer wieder Stein des Anstoßes: Fluglärm in der Nacht.

Immer wieder Stein des Anstoßes: Fluglärm in der Nacht.

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Das Wichtigste in Kürze

Frage: Beeinflusst nächtlicher Fluglärm die kardiovaskuläre Mortalität?

Antwort: Bei maximaler Lärmbelästigung von > 50 dB in der Nacht starben innerhalb von zwei Stunden 44% mehr Personen an einem Herz-Kreislauf-Ereignis als bei einem Pegel von < 20 dB.

Bedeutung: Kausalität vorausgesetzt, kann nächtlicher Fluglärm für 3% der kardiovaskulären Tode im Bereich internationaler Flughäfen verantwortlich gemacht werden.

Einschränkung: Es ist u. a. nicht immer gesagt, dass sich die betroffenen Personen in dem berücksichtigten Zeitfenster zuhause aufgehalten haben.

Basel. WHO-Daten zufolge steigt das Risiko für die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit (KHK) pro 10 dB langanhaltenden Straßenverkehrslärms um jeweils acht Prozent. In experimentellen Studien wurde zudem deutlich, wie der Körper auch kurzfristig, etwa in Form von endothelialer Dysfunktion, Hypertonie oder Schlafproblemen auf Umweltlärm reagiert.

Nun haben Apolline Saucy vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut in Basel und Kollegen die Auswirkungen nächtlichen Fluglärms auf die kardiovaskuläre Mortalität der Anwohner untersucht( European Heart Journal 2020; online 30.November).

An der Studie nahmen Personen über 30 Jahre teil, die in der Nähe des Züricher Flughafens lebten. Für die Querschnittsanalyse bedienten sich Saucy und Kollegen Daten der Swiss National Cohort (SNC) über einen Zeitraum von 15 Jahren. Dabei wurde jeweils der Fluglärm am Todestag mit dem an bis zu vier Kontrolltagen desselben Monats und Wochentags verglichen. In der Nacht (23–7 Uhr) berücksichtigten die Studienautoren ein Zeitfenster von zwei Stunden zwischen dokumentiertem Lärmstress und Tod.

Wer aus dem Schlaf schreckt, ist besonders gefährdet

In der Umgebung des Züricher Flughafens starben zwischen 2000 und 2015 insgesamt 24.886 Menschen an kardiovaskulären Ursachen, 7641 von ihnen in der Nacht und 17.245 tagsüber. Die durchschnittliche Lärmbelastung über die Zeit, ausgedrückt durch den A-bewerteten äquivalenten Dauerschalldruckpegel (LAeq), lag in verschiedenen Zeitfenstern zwischen 17,6 und 45,2 dB. Am stärksten war die Belastung zwischen 19 und 23 Uhr, am geringsten zwischen 23.30 und 6.00 Uhr.

Die Auswertung der Daten ergab einen Zusammenhang zwischen der nächtlichen Fluglärmbelästigung und der kardiovaskulären Sterblichkeit bis zu zwei Stunden danach. Bei 2h-LAeq-Werten zwischen 40 und 50 dB zeigten sich gegenüber einem Wert von < 20 dB signifikant erhöhte Mortalitätsraten für alle untersuchten kardiovaskulären Erkrankungen (Odds Ratio, OR 1,33). Bei einem LAeq > 50 dB stieg die OR auf 1,44.

In der Einzelbetrachtung von KHK, Myokardinfarkt und Herzinsuffizienz verdoppelte sich das Herzinsuffizienzrisiko bereits bei 30–40 dB (OR 2,08). Obwohl sich dieser Trend mit zunehmender Lautstärke fortsetzte (OR 2,07 bei 40–50 dB bzw. 3,09 bei >50 dB), konnte nur in diesem Druckpegelbereich ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe ermittelt werden.

Fokus auf Frauen

Besonders empfindlich reagierten offenbar Herz und Gefäße der Frauen (OR 1,13). Bei ihnen fiel eine weitaus stärkere Belastung als bei den Männern auf, insbesondere im Hinblick auf tödliche Arrhythmien.

Zudem waren Menschen, die ansonsten in ruhiger Umgebung lebten, besonders durch den Flugzeuglärm in der Nacht gefährdet. In solchen Regionen scheinen plötzliche Lärmereignisse stärker ins Gewicht zu fallen als bei ohnehin bestehendem Dauerpegel durch Straßenlärm, Zuggeräusche oder laute Nachbarschaft.

Auf der Basis dieser Daten kalkulieren Saucy und Kollegen, dass 782 (3%) der nächtlichen Todesfälle möglicherweise dem Flugzeuglärm zugeschrieben werden könnten. Ein Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit und dem Fluglärm am Tag wurde nicht festgestellt.

Wegen der Einschränkungen des nächtlichen Flugverkehrs in Zürich und entsprechend geringer Geräuschkulisse, so die Studienautoren, wäre es nun interessant, die Sterblichkeit von Menschen zu analysieren, die noch höheren nächtlichen Fluglärmpegeln ausgesetzt sind. Außerdem, so Saucy und Kollegen, müssten künftige Studie klären, wie sich der Fluglärm tagsüber auf die Menschen auswirkt, die in dessen Umfeld leben.

Bereits 2010 hat das Bundesumweltamt einen Abschlussbericht über eine Fall-Kontroll-Studie zu kardiovaskulären und psychischen Erkrankungen im Umfeld des Flughafens Köln-Bonn veröffentlicht, in der u. a. auf die Risiken nächtlichen Fluglärms hingewiesen wurde*. Im Jahr 2018 haben Wissenschaftler der Universität Mainz in der Gutenberg Gesundheitsstudie u. a. erstmals gezeigt, dass Fluglärmbelästigung auch in der Nacht mit einem erhöhten Risiko für Vorhofflimmern assoziiert ist.

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