Unbekannter Primärtumor: Wie läßt sich die Prognose verbessern?

Das CUP-Syndrom, also eine metastasierte Tumorerkrankung ohne identifizierbaren Primärtumor, macht etwa drei bis fünf Prozent aller malignen Tumoren aus. Nur etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten überleben länger als fünf Jahre. Die mediane Überlebenszeit beträgt etwa drei bis elf Monate. Um die Prognose der Betroffenen zu verbessern, sind eine rasche Diagnose und eine frühzeitige Therapie wichtig.

Veröffentlicht:

Gerdt Hübner

Trotz der Fortschritte in der Krebsdiagnostik gelingt es bei manchen Patienten, bei denen Metastasen festgestellt werden, nicht, den Primärtumor zu identifizieren. Diese CUP-Syndrom genannte Erkrankung (Cancer of Unknown Primary; Tumorerkrankung mit unbekanntem Primärtumor) macht etwa drei bis fünf Prozent aller malignen Tumoren aus und ist somit eine vergleichsweise häufige Tumorerkrankung - häufiger zum Beispiel als das Ösophagus- oder das Harnblasenkarzinom.

Dennoch beschäftigen sich innerhalb der Internistischen Onkologie international nur wenige Kollegen wissenschaftlich mit dem CUP-Syndrom. Aufgrund dessen sowie wegen der großen Heterogenität der Erkrankung sind allgemeingültige Therapieleitlinien bisher nicht etabliert.

Wie läßt sich ein CUP-Syndrom diagnostizieren?

Nicht jeder Patient mit Metastasen eines zunächst unbekannten Primärtumors hat ein CUP-Syndrom. Bei gut der Hälfte der Patienten gelingt es, bei der primären Diagnostik den Ausgangsherd dingfest zu machen.

Wenn dabei der Primärtumor jedoch nicht identifiziert werden kann, sinkt die Chance, ihn im weiteren Verlauf zu finden, auf etwa zwanzig Prozent. Meistens findet man ihn dann aufgrund neuer Symptome, nicht aber durch weitere, mehr oder minder zielgerichtete Untersuchungen.

Dies bedeutet, daß der Primärtumor bei vielen Patienten nicht identifiziert werden kann. Es ist daher sinnvoll, das CUP-Syndrom als eigene Krankheitsentität in der Onkologie zu betrachten.

Ein CUP-Syndrom liegt definitionsgemäß vor bei

  • histologisch / zytologisch gesicherter Metastasierung und
  • fehlendem Primärtumornachweis bei der gesamten primären Diagnostik.

Bei der Untersuchung hat sich ein diagnostisches Basisprogramm bewährt, zu dem außer Anamnese und eingehender körperlicher Untersuchung, Laborwerten und technischen Untersuchungen auch die Bestimmung der antigenspezifischen Tumormarker gehört.

Diagnostisches Basisprogramm, um ein CUP-Syndrom zu identifizieren
Maßnahmen Parameter
Gezielte Anamnese
Frühere Tumoren oder Operationen, Schmerzen, Anomalitäten, Zigarettenkonsum, entfernte Naevi, (Kolon-)Adenome, u.a.

Eingehende körperliche Untersuchung

Lymphknoten, Haut, Rachen, Mamma, Prostata, Rektum, Hoden, HNO (besonders bei Lymphknoten-Metastasen im HNO-Bereich), gynäkologische Untersuchung

Labor

Großes Blutbild, Alkalische Phosphatase (AP), Lactat-Dehydrogenase (LDH), Gamma-Glutamyltransferase (?GT), Kreatinin, Urinstatus, Elektrophorese (Paraprotein), Hämoccult-Test

Techn. Untersuchungen

Röntgen-Thorax, CT-Thorax, CT und Sonografie des Abdomens, Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD), Mammographie

Tumormarker

ß-Untereinheit des Human-Choriongonadotropins (ß-hCG), Alpha-1-Fetoprotein (AFP), Prostata-spezifisches Antigen (PSA; bei Männern), Calcitonin (bei neuroendokrinen Tumoren), ggf. Thyreoglobulin. Die übrigen Tumormarker sind aufgrund ihrer unzureichenden Spezifität und Sensitivität nicht als Screening-Parameter für die Diagnostik geeignet
Zytologische / histologische Untersuchung Unbedingt mit Immunperoxidase-Färbungen. Es lohnt sich, die spezielle Situation mit dem Pathologen zu besprechen, da die Zuordnung dann genauer wird.
Quelle: Hübner, Tabelle: Forschung und Praxis / Ärzte Zeitung
Wesentliche Bestandteile der Basisdiagnostik sind die Bestimmung der antigenspezifischen Tumormarker und die zytologische / histologische Untersuchung.

Eine zytologische oder besser noch histologische Untersuchung ist unverzichtbarer Bestandteil der Diagnostik. Mit dem großen Spektrum immunhistologischer Marker ist in Zusammenschau mit dem Metastasierungsmuster und der individuellen Symptomatik meistens eine Zuordnung zu einer Arbeitsdiagnose und einer sinnvollen Therapieoption möglich.

Parallel zur Basisdiagnostik sollte natürlich nach dem vermuteten Primärtumor gesucht werden. Die dazu notwendigen Untersuchungen orientieren sich an der Lokalisation der Metastasen und den individuellen klinischen Symptomen. Grundsätzlich gilt: Eine diagnostische Maßnahme ist nur sinnvoll, wenn das Ergebnis die Therapie beeinflussen könnte!

PET-Untersuchungen sind indiziert, wenn eine solitäre Metastase vorliegt: Mit hoher Sensitivität gelingt damit die Identifikation möglicher weiterer Metastasen, im Kopf-Hals-Bereich auch des Primärtumors.

Bei den meisten Patienten ist die Prognose schlecht

Die Prognose ist im allgemeinen ungünstig: Das mediane Überleben liegt bei drei bis elf Monaten. Allerdings leben fünf bis zehn Prozent der Patienten länger als fünf Jahre! Diese Patienten gehören definierten Subgruppen mit günstiger Prognose an. Hierzu zählen zum Beispiel Männer mit extragonadalen Keimzelltumoren oder Frauen mit axillären Lymphknotenmetastasen. Solche Subgruppen müssen bei der Behandlungsplanung unbedingt berücksichtigt werden.

Subgruppen des CUP-Syndroms mit günstiger Prognose

Lokale (resezierbare) Erkrankung

  • zervikale Lymphknoten
  • axilläre Lymphknoten (bei Frauen)
  • solitäre Organmetastasen (auch Lunge, Hirn, Skelett)

Extragonadale Keimzelltumoren

  • Männer, < 50 Jahre, wenig differenzierte Karzinome, Befall überwiegend retroperitoneal und/oder mediastinal und/oder pulmonal, rasche Progression

Neuroendokrine Karzinome

(jüngere) Frauen mit Peritonealkarzinose

Maligne Lymphome

  • müssen besonders bei kleinzelligen Tumoren per Immunhistologie sicher ausgeschlossen werden!

Maximal 25 Prozent der Patienten mit CUP-Syndrom gehören einer der Subgruppen mit günstiger Prognose an.

Insgesamt sind allerdings weniger als 25 Prozent der betroffenen Patienten diesen Subgruppen zuzuordnen. Die Mehrzahl weist eine disseminierte, nicht chirurgisch angehbare Metastasierung eines Adeno- oder wenig differenzierten Karzinoms auf. Hier beträgt das mediane Überleben etwa drei bis neun Monate, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt unter fünf Prozent.

Empirische Therapie ist oft am meisten erfolgversprechend

Das therapeutische Vorgehen bei Patienten mit CUP-Syndrom richtet sich nach der Arbeitsdiagnose, der Histologie und dem Ausmaß der Metastasierung.

Lokal begrenzte Tumormanifestation: Die Behandlung erfolgt unter kurativer Intention lokal und radikal, meist also operativ (Resektion eventuell mit regionaler Lymphonodektomie) mit oder ohne Strahlentherapie. Eine adjuvante Chemotherapie oder antihormonelle Behandlung ist nur selten erforderlich, zum Beispiel bei Patienten mit Verdacht auf ein Mammakarzinom, Lymphom oder ein kleinzelliges Karzinom.

Primär disseminierte Tumormanifestation mit kurzfristig infauster Prognose (biologisches Alter > 75 Jahre, schlechter Allgemeinzustand, Komorbidität): Symptomorientierte Therapie bei Schmerzen und lokalen Komplikationen zur Verbesserung der Lebensqualität. Die Indikation zu einer systemischen Chemotherapie sollte zurückhaltend gestellt werden.

Primär disseminierte Tumormanifestation mit intermediärer Prognose: Wahl der Chemotherapie unter Berücksichtigung der Histologie. Spezielle Empfehlungen:

- Bei Frauen mit Peritonealkarzinose (Adenokarzinom): evtl. Debulking-Operation (Tumorverkleinerung durch hochenergetischen Laser), Carboplatin und Paclitaxel (analog der Therapie bei Ovarialkarzinom).

- Bei Frauen mit axillären Lymphknotenmetastasen: Axilladissektion, Radiatio der ipsilateralen Brust (keine Operation!), Chemo- oder Hormontherapie analog der Therapie bei Mammakarzinom.

- Plattenepithelkarzinom: Möglichst Kombination von Chemotherapie und lokaler Radiatio analog zum Beispiel der Therapie bei Kopf-Hals-Tumoren, Analkarzinom oder Ösophaguskarzinom.

- Kriterien für extragonadale Keimzelltumoren: Intensive Chemotherapie analog der Therapie bei Hodentumoren.

- Wenig differenzierte neuroendokrine (kleinzellige) Tumoren (Immunhistologie): Kombinations-Chemotherapie analog der Therapie bei kleinzelligem Bronchialkarzinom.

- Gut differenzierte neuroendokrine Tumoren (Flush-Syndrom, Immunhistologie): Therapie analog der bei Karzinoid.

- Bei hormonabhängigen Tumoren sollte mit antihormonaler Therapie analog zur Therapie bei Prostata-Karzinom bei Männern oder analog zum Mamma-Karzinom bei Frauen behandelt werden.

- Umschriebene schmerzhafte oder frakturgefährdete Knochenmetastasen: lokale Radiatio.

Meistens ist eine empirische Therapie auf der Basis der Arbeitsdiagnose am besten. Dabei muß man sich bei der Wahl der Therapie immer am therapiesensibelsten denkbaren Primärtumor orientieren! Ein erfahrener Onkologe ist für Patienten mit CUP-Syndrom der beste Ansprechpartner.

Zügige Diagnostik und frühzeitige Therapie bessern Prognose

Wie kann die Prognose von Patienten mit CUP-Syndrom verbessert werden?

Zunächst einmal durch eine rasche und konsequente Diagnostik. Denn viele Patienten verlieren wertvolle Lebenszeit durch zum Teil monatelange Untersuchungen ohne Behandlung. Dabei kann die oben empfohlene Diagnostik in zwei Wochen abgeschlossen sein - danach hilft weiteres Suchen in aller Regel nicht mehr.

Entscheidend ist dann eine frühzeitige Therapie, die an den genannten Empfehlungen orientiert ist. Vor allem dürfen Patienten aus einer prognostisch günstigen Subgruppe nicht übersehen werden.

Neue diagnostische Methoden wie die Genexpressionsanalyse (gene expression profiling) zur Aufarbeitung der Gewebeproben lassen hoffen, daß eine wesentlich genauere Zuordnung zu bestimmten Primärtumoren möglich ist, was dann eine zielgerichtete Therapie erlaubt. Diese Methode wird derzeit von der Arbeitsgruppe CUP-Syndrom der Arbeitsgruppe Internistische Onkologie (AIO) in der Deutschen Krebsgesellschaft untersucht.

Auch die systemische Therapie muß optimiert werden: So hat sich bei der Chemotherapie durch neue Substanzen - etwa Taxane, Gemcitabin und Irinotecan - eine moderate Verbesserung erreichen lassen.

Eine erste multizentrische prospektive Studie aus Deutschland, die wir vor kurzem beim amerikanischen Krebskongreß (ASCO) in Orlando vorgestellt haben, hat die Wirksamkeit der Kombination Carboplatin / Paclitaxel bei 42 CUP-Patienten mit ungünstiger Prognose bestätigt: Die mediane Überlebenszeit lag bei elf Monaten, die 1-Jahres-Überlebensrate betrug 38 Prozent. Mit der Vergleichskombination Gemcitabin / Vinorelbin kam es bei 20 Prozent der so behandelten 45 Patienten zu Remissionen, jedoch war die Überlebenszeit mit im Mittel sieben Monaten kürzer.

Inwieweit auch die Kombination Capecitabin / Oxaliplatin bei Patienten mit CUP-Syndrom wirksam ist, wird derzeit in einer Studie der AIO geprüft.

Zu den Therapieoptionen, deren Wirksamkeit beim CUP-Syndrom untersucht wird, gehören auch Substanzen, die in die zelluläre Signaltransduktion eingreifen, zum Beispiel monoklonale Antikörper. Besonders von Antagonisten des VEGF (Vaskular Endothelial Growth Factor), etwa Bevacizumab, und von Antagonisten des EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor) wie Cetuximab und Erlotinib erhoffen wir uns aufgrund ihres breiten Wirkumsspektrums eine klinisch relevante Aktivität beim CUP-Syndrom.

Leider ist die Forschung beim CUP-Syndrom erschwert: Der hohe organisatorische und finanzielle Aufwand muß mit nur geringer Unterstützung durch die Pharmaindustrie geschultert werden, da die Erkrankung nicht als zulassungsfähige Indikation gilt.

Mit der CUP-Studiengruppe der AIO besteht immerhin ein Ansatz zur Optimierung der Therapie. Wir hoffen, daß diese Aktivitäten dazu beitragen, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Behandlung von Patienten mit CUP-Syndrom zu erweitern und zukunftsweisende Konzepte zu entwickeln.

Dr. Gerdt Hübner, Medizinische Klinik I, Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie, Westpfalz-Klinikum GmbH, Hellmut-Hartert-Str. 1, 67655 Kaiserslautern, Tel.: 0631 / 203-1196, Fax: 203-1143, E-Mail: ghuebner@westpfalz-klinikum.de

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