"Wehre dich, und du kommst besser weg"

Von Annette Berger Veröffentlicht:

Im Ernstfall würde Julians Herz jetzt noch viel schneller pochen. Doch schon die Probe bringt den kleinen Erstkläßler an seine Grenzen: Der Siebenjährige schlägt wild um sich und brüllt wie ein wilder Tiger, als der "fremde Mann" an seinem Schulranzen zerrt und das Menschenbündel wegschleppt. So könnte eine Kindesentführung in der Realität ablaufen.

"Wir müssen das Kind in eine Hochstreß-Phase bringen, damit die richtige Reaktion als Programm im Gehirn gespeichert wird", betont Taekwondo-Trainer George Maier, der das Eigenschutz-Training für Kinder in einer kleinen Schulturnhalle in St. Wolfgang in Oberbayern leitet.

Im Kompaktkurs lernen 75 Grund- und Hauptschüler an drei Samstagen von Polizei-Profis und Kampfsport-Experten, wie sie in lebensgefährlichen Situationen schnell und richtig reagieren sollen - um so vielleicht das Schlimmste gerade noch zu verhindern. Julian hat seine Lektion gut gelernt: Er schreit, kratzt und boxt dann dem doppelt so großen Angreifer kräftig in die empfindliche Magengrube.

Seit zehn Jahren gibt’s das Schutzprogramm für Kinder

Für einen Augenblick läßt der "Triebtäter" von seinem Opfer ab. Der Junge nutzt seine Chance und flüchtet durch einen Hindernis-Parcours in der Halle, der Schlupflöcher, Hecken oder kleine Mauern simulieren soll.

"Eine hundertprozentige Sicherheit im Leben gibt es natürlich nicht, aber durch Training wird das prozentuale Risiko deutlich herabgesetzt", sagt Gerhard Maier. Der 49jährige Kommissar und Zwillingsbruder von George Maier leitet die Sicherheitsfortbildung bayerischer Polizeibeamter beim Präsidium Schwaben.

In seiner langjährigen Laufbahn hat Maier Abgründe dieser Welt in Augsburg und anderswo kennen gelernt. Sein Bruder ist Chef einer Münchner Taekwondo-Schule. Die beiden Männer sind Großmeister in der südkoreanischen Kampfkunst Taekwondo. Das Schutzprogramm für Kinder haben sie vor zehn Jahren gemeinsam entwickelt.

Unter dem Motto "Wehre dich, und du kommst besser weg" haben sich inzwischen Tausende Kinder und Jugendliche durch ihre Streß-Parcours geboxt. So können auch Schüler Selbstschutz lernen, die sich in ihrer Freizeit kaum für Kampfsport und drillartige Kommandotöne begeistern. "Schnell, schnell, die Hände zusammenklatschen, Körper drehen und Fäuste nach oben wegreißen", ruft Trainerin Birgitta Stettner durch die Turnhalle. Mit Trillerpfeife wird trainiert, was im normalen Leben in und außerhalb von Schulen streng verboten ist: schlagen, kratzen, beißen.

Die meisten Angreifer geben auf, wenn das Opfer sich wehrt

Wenn Schüler im Kurs drei oder vier Handgriffe verknüpfen lernen, sind die Trainer zufrieden. "Kinder brauchen keine 20 Aktionen, wenn sie jemand würgt", sagt Kommissar Maier. "Wichtig ist, daß sie im Notfall ihr Programm abspulen." Präzision und Geschwindigkeit seien dabei ihre stärksten Waffen. Laut Kriminalstatistik lassen 80 Prozent aller Angreifer von ihrem Opfer ab, wenn es sich heftig wehrt. Wer diese wertvollen Sekunden dagegen im Schockzustand verstreichen läßt, kann schnell in akute Lebensgefahr geraten.

Doch nicht nur körperlich soll der Kampfsport-Kurs Kinder stark machen. Zum Psycho-Training gehören ein selbstbewußtes Auftreten und Distanz, wenn Kinder alleine unterwegs sind. Und geübt wird auch, notfalls richtig laut zu werden: "Lassen Sie mich in Ruhe, ich kenne Sie nicht, ich will das nicht haben", brüllt Julian, als ihn der "Täter" zu Boden reißt. (dpa)

Weitere Informationen zum Eigenschutz-Training für Kinder im Internet: www.taekwondo-twin-center.de

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