Dabigatran

Weniger gravierende Blutungen als unter Warfarin

Noch existieren für neue orale Antikoagulanzien keine etablierten Antidote. Sind deshalb bei schweren Blutungen die Folgen gravierender als unter Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten? Eine neue Studie bietet für Dabigatran keine Anhaltspunkte für solche Befürchtungen.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Darstellung einer intrakraniellen Blutung mittels MRT-Bildgebung. Neue Antikoagulanzien senken das Risiko für ein solches Ereignis.

Darstellung einer intrakraniellen Blutung mittels MRT-Bildgebung. Neue Antikoagulanzien senken das Risiko für ein solches Ereignis.

© BSIP/Your_Photo_Today

HAMILTON. So viel vorweg: Schwere Blutungskomplikationen wie intrakranielle Blutungen und hämorrhagische Schlaganfälle traten in den Zulassungsstudien unter Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban signifikant seltener auf als unter Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin).

Der Bedarf an verfügbaren Antidoten zur Beherrschung von lebensbedrohenden Blutungen wird dadurch nicht relativiert.

In solchen Notfällen kann die gerinnungshemmende Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) durch Gabe von Prothrombinkomplex (PPSB) rasch antagonisiert werden, bei Gabe von Vitamin K dauert es deutlich länger.

Diese Möglichkeit besteht im Falle der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) derzeit nicht.

Im Vergleich zu VKA klingt allerdings ihre Wirkung aufgrund der kürzeren Halbwertzeit deutlich rascher ab. Bei leichten Blutungen kann daher eine Unterbrechung der Therapie neben Maßnahmen wie Blutstillung schon ausreichend sein.

Ungeachtet fehlender Antidote gibt es auch für den Fall schwerer oder lebensbedrohender Blutungen unter NOAKs mögliche Notfallstrategien.

Dazu zählen Standardmaßnahmen wie Therapieunterbrechung, lokale Blutstillung, Volumenersatz und die Gabe von Blutprodukten (Erythrozytenkonzentrat, gefrorenes Frischplasma, Thrombozytenkonzentrat) bei Anämie und Thrombozytopenie.

Option auf Dialyse bei Dabigatran

Da der Thrombinhemmer Dabigatran dialysabel ist, besteht in diesem Fall auch die Möglichkeit der Hämodialyse zur Eliminierung der Substanz aus dem Blut.

Bei nur kurz zurückliegender Einnahme von Dabigatran (weniger als zwei Stunden) scheint eine Gabe von Aktivkohle zur Unterbindung der gastrointestinalen Resorption sinnvoll zu sein, zudem ist für eine ausreichende Diurese zu sorgen.

Als weitere Maßnahme kommt bei lebensbedrohenden Blutungen unter Dabigatran auch die Gabe von Prothrombinkomplex-Konzentrat (z. B. PPSB) oder rekombinantem Faktor VIIa in Betracht. Auf solide Belege für den Nutzen dieser Maßnahmen kann sich dabei aber nicht berufen werden.

Soweit die Empfehlungen für ein potenzielles Notfallmanagement. Wie aber wird bei schweren Blutungen unter Dabigatran in der Praxis tatsächlich vorgegangen, und welche klinischen Konsequenzen resultieren daraus?

Dieser Frage ist eine internationale Forschergruppe um Dr. Sam Schulman aus Hamilton (Kanada) in einer umfassenden Analyse gepoolter Daten aus fünf klinischen Phase-III-Studien mit Dabigatran nachgegangen (Circulation 2013; online 30. September).

In vier Studien (RECOVER I und II, REMEDY und RESONATE) ist Dabigatran (Pradaxa®) bei Patienten mit venösen Thromboembolien (VTE) und in einer Studie (RELY) bei Patienten mit Vorhofflimmern untersucht worden. Insgesamt 27.419 Teilnehmer sind zwischen sechs und 36 Monate lang mit Dabigatran oder Warfarin (in RESONATE: Placebo) behandelt worden.

Schwere Blutungen bei über 1000 Teilnehmern

Ihre Analyse fokussierten die Untersucher auf 1121 schwere Blutungen, die bei 1034 Studienteilnehmern aufgetreten waren.

Patienten mit Blutungen unter Dabigatran waren im Schnitt älter (75,3 versus 71,8 Jahre) und hatten eine schlechtere Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance: 53 versus 62 ml / min) als Patienten mit Blutungen unter Warfarin.

Dabigatran-Patienten mit Blutungen waren häufiger gleichzeitig mit ASS (30,9 versus 24,6 Prozent) oder NSAR (12,9 versus 8,4 Prozent) behandelt worden.

Blutungen traten demnach unter Dabigatran bei Patienten mit vergleichsweise höherem Risiko auf. Die Autoren sehen deshalb Spielraum für eine weitere Reduktion von Blutungen - sei es durch Reduktion der Dabigatran-Dosis oder - wenn möglich - durch Verzicht auf Komedikation mit ASS und NSAR.

Bei einem Drittel aller schweren Blutungen wurden keine Blutprodukte oder andere hämostatisch wirksamen Substanzen verabreicht.

Eine Erythrozyten-Transfusion als alleinige Maßnahme wurde in der Dabigatran-Gruppe bei 47 Prozent (110-mg-Dosis) und 43 Prozent (150-mg-Dosis), dagegen in der Warfarin-Gruppe nur bei 20 Prozent aller Blutungen vorgenommen.

Zu erklären ist dies mit der häufigeren Nutzung von Erythrozyten-Konzentraten bei Patienten mit gastrointestinalen Blutungen, die - im Unterschied zu intrakraniellen Blutungen - unter Dabigatran häufiger als unter Warfarin beobachtet wurden.

Umgekehrt erhielten Patienten in der Warfarin-Gruppe öfter eine Behandlung mit gefrorenem Frischplasma (FFP) als Patienten der Dabigatran-Gruppe (30,2 versus 19,8 Prozent). Nur bei einer sehr kleinen Minderheit kamen in beiden Gruppen Prothrombinkomplex-Konzentrate oder Faktor-VIIa zum Einsatz.

Ein einziger mit Dabigatran behandelter Patient wurde nach zuvor unwirksamen Behandlungsversuchen schließlich - laut Fallbeschreibung erfolgreich - einer Hämodialyse unterzogen. Von den Patienten der Warfarin-Gruppe wurden nur 14 Prozent ausschließlich und weitere 17 Prozent zusätzlich mit Vitamin K behandelt.

Mortalität tendenziell niedriger

Die Folgen der Blutungen schienen in der Dabigatran-Gruppe weniger schwerwiegend zu sein als in der Vergleichsgruppe. So war die Mortalität zum Zeitpunkt 30 Tage nach der Blutung tendenziell um 32 Prozent niedriger als in der Warfarin-Gruppe (9,1 versus 13,0 Prozent, p = 0,057).

Dieser Unterschied beruht primär auf Ergebnissen der RELY-Studie. Zudem war die Dauer des Aufenthalts auf der Intensivstation nach Behandlung mit Dabigatran im Schnitt signifikant kürzer (1,6 versus 2,7 Nächte).

Kritisch anzumerken bleibt, dass bei Blutungen unter Warfarin Prothrombinkomplex-Konzentrate nur in wenigen Ausnahmefällen und Vitamin K nur bei knapp einem Drittel der Betroffenen zum Einsatz kamen.

Ob die Unterschiede zugunsten von Dabigatran bezüglich Mortalität und intensivmedizinischer Versorgung auch dann zustande gekommen wären, wenn beide genannten Behandlungsmöglichkeiten bei Warfarinassoziierten Blutungen häufiger genutzt worden wären, sei dahingestellt.

Allerdings waren in den Studienprotokollen - abgesehen von üblichen Standardmaßnahmen - keine dezidierten Richtlinien zum Blutungsmanagement festgelegt worden. Insofern spiegelt die Vorgehensweise bei schweren Blutungen unter Warfarin die gängige Praxis wider.

Das Fazit der Studienautoren

Die Studienautoren bescheinigen dem Thrombinhemmer auf Basis der neuen Studiendaten ein insgesamt günstiges Sicherheitsprofil.

Mit Dabigatran sei eine Alternative zu Vitamin-K-Antagonisten verfügbar, die - bei gleicher oder stärkerer Wirksamkeit - mit einem vergleichbaren oder niedrigeren Risiko für schwere (vor allem intrakranielle) Blutungen assoziiert ist.

Diese Blutungen seien mit einfachen Maßnahmen gut zu managen - bei tendenziell niedrigerem Mortalitätsrisiko. Ob sich das Blutungsmanagement durch ein spezifisches Antidot weiter verbessern lässt, müsse noch gezeigt werden.

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