Sterblichkeit

Wo ein krankes Herz gefährlicher ist

In einigen Bundesländern sterben verhältnismäßig viel mehr Menschen an den Folgen einer Herzerkrankung als anderswo. Woran liegt das? Die Deutsche Herzstiftung hat das untersucht - und eine plausible Antwort gefunden.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

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BERLIN. In Sachsen-Anhalt sterben 99 von 100.000 Einwohner pro Jahr an akutem Herzinfarkt. Im Saarland sind es 75, in Thüringen 81 und in Mecklenburg-Vorpommern 77.

Ganz anders in Schleswig-Holstein: Hier sind es nur 43. In Berlin sind es 48, und in Süddeutschland um die 50.

Bei anderen kardialen Erkrankungen ist das Gefälle ähnlich. An einer (chronischen) koronaren Herzerkrankung sterben in Sachsen-Anhalt rund 260 von 100.000 Einwohnern, ähnlich im Saarland. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind es nur um die 130.

Auch die Herzinsuffizienz ist mit rund 90 bis 100 Todesfällen pro 100.000 Einwohner in den neuen Bundesländern überrepräsentiert. Andere Bundesländer kommen teilweise auf die Hälfte.

Soziales Gefälle geht aufs Herz

Wie erklären sich diese Unterschiede, die schon wiederholt beschrieben wurden und sich nun in dem am Mittwoch präsentierten Deutschen Herzbericht 2015 der Deutschen Herzstiftung sehr detailliert nachlesen lassen?

Weitgehend klar ist, woran es nicht liegt: "Unterschiede in der Codierung werden immer wieder diskutiert. Aber auch wenn wir das berücksichtigen, bleibt das Gefälle immer noch enorm", betonte Professor Andreas Stang, Leiter des Zentrums für Klinische Epidemiologie am Uniklinikum Essen.

Auch die Demographie scheidet aus, denn die Daten sind altersbereinigt.

Ist also die kardiologische Versorgung schlechter? Der Deutsche Herzbericht lässt auch daran zweifeln. Weder die Dichte an Linksherzkathetermessplätzen noch die an Chest Pain Units korreliert mit der KHK- oder Infarktsterblichkeit.

Auch die PCI-Raten helfen nicht weiter: Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern bilden hier die Speerspitze, aber nur in Hamburg ist die Sterblichkeit beim Herzinfarkt niedrig, in den beiden anderen Regionen ist sie stark überdurchschnittlich.

Angesichts dieser mittlerweile recht guten Datenlage sieht Stang nur einen wirklich plausiblen Erklärungsansatz, und das ist das soziale Gefälle innerhalb Deutschlands.

Die Bundesländer, die bei Herzerkrankungen schlecht abschneiden, sind jene mit der höchsten Arbeitslosigkeit und dem geringsten Anteil von Menschen mit höherem Bildungsabschluss.

Auch hier gibt es einzelne Bundesländer, die nicht ins Schema passen. Aber es sind nur wenige.

Prävention ist nicht nur Ärztesache

Gehe man eine Ebene tiefer, auf die Ebene der medizinischen Risikofaktoren, dann seien in den Bundesländern mit problematischer Sozialstruktur Adipositas, metabolisches Syndrom, Diabetes und Hypertonie häufiger, so Stang.

Es werde mehr geraucht, weniger Sport gemacht, und die Taille sei breiter: "Auch das ist alles alterskorrigiert. Insbesondere Sachsen-Anhalt schneidet besonders schlecht ab."

Am Ende stehen höhere Raten an Klinikeinweisungen wegen kardiovaskulärer Diagnosen und eine höhere Sterblichkeit.

Stangs Fazit lautet, dass Ärzte zwar Risikofaktoren noch besser erkennen und noch konsequenter behandeln sollten. Dies könne aber nicht alles sein: "Wir können Prävention nicht allein den Ärzten reindrücken."

Nötig seien vielmehr weniger Arbeitslosigkeit und bessere Bildung. Im Spezialfall Sachsen-Anhalt empfahl Stang an die Adresse der Politik zudem ein weniger liberales Nichtraucherschutzgesetz.

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Kommentare
Dr. Wolfgang Bensch 29.01.201612:43 Uhr

Wird Sachsen im Risikostrukturausgleich diskriminiert?

Ist das etwa ein Zeichen für "asymmetrische" Verteilung der Mittel im Risikostrukturausgleich?
Aber differenzierte Stockwerkserhebung nach Schaetzler wohl noch ausstehend!

Dr. Thomas Georg Schätzler 28.01.201617:20 Uhr

Hochhäuser bei Herzstillstand und ACS besonders gefährlich!

Wie vom ÄZ-Autor und Kollegen Philipp Grätzel von Grätz kenntnisreich ausgeführt, sind die Bundesländer, die bei Morbidität und Mortalität ihrer Herzerkrankungen besonders schlecht abschneiden, von hoher Arbeitslosigkeit und dem geringsten Anteil von Menschen mit höherem Bildungsabschluss geprägt. Die Deutsche Herzstiftung sieht das ebenso.

Ein wesentlicher Faktor tritt m. E. hinzu: Die langen Wege in dünn besiedelten Flächenstaaten der Neuen Bundesländer. Dass die besonders kleinen Bundesländer Saarland und Bremen ebenfalls schlecht abschneiden, ist kein Widerspruch. Ihr Umland ist ebenfalls sehr dünn besiedelt bzw. durch wenige interventionelle Zentralkliniken in den spärlichen Metropolen gekennzeichnet. In Berlin und Hamburg ist wiederum das Umland viel dichter besiedelt und mit interventionellen Kliniken strukturell besser aufgestellt.

Dass in der Prähospital-Erstversorgung bei Herzstillstand wenige Minuten bei Erreichbarkeit, Zugang, Patiententransport und nachfolgend klinischer „door-to-needle“-Zeit signifikante Unterschiede bei Morbidität und Mortalität des akuten Koronarsyndroms (ACS) produzieren, lässt sich an einer methodisch brillanten Studie aus Toronto (CAN) nachweisen. Im Canadian Medical Association Journal (CMAJ) January 18, 2016 First published January 18, 2016, doi: 10.1503/cmaj.150544 publizierten Ian R. Drennan et al. mit dem Titel: “Out-of-hospital cardiac arrest in high-rise buildings: delays to patient care and effect on survival” eine Studie, nach der in Hochhäusern und deren Penthaus-Wohnungen das Nicht-Überleben eines Herzstillstands mit der Etagenhöhe ansteigt, weil Warte- und Fahrtzeiten mit dem Fahrstuhl den Einsatz der primären Rettungsmittel verzögert [„Interpretation: In high-rise buildings, the survival rate after out-of-hospital cardiac arrest was lower for patients residing on higher floors. Interventions aimed at shortening response times to treatment of cardiac arrest in high-rise buildings may increase survival”].

Das Überleben nach Herzstillstand war in den unteren Etagen höher (4,2%) gegenüber 2,6% jenseits des 3. Stockwerks (2,6%) [„Survival was greater on the lower floors (4.2% v. 2.6%, p = 0.002)”]. Bei den ACS-Patienten, die dann lebend die Klinik erreichten, gab es keine derartigen Unterschiede mehr. Jenseits des 25. Stockwerks gab es keine Herzstillstand-Überlebende [„there were no survivors above the 25th floor“]. Hohe Penthaus-Bewohner leben gefährlich!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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