Hintergrund

Ärzte im Schichtdienst auf dem Tahrir-Platz in Kairo

Seit zwei Wochen protestieren die Menschen in Kairo gegen das herrschende Regime. Bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Mubarak-Anhängern gibt es immer wieder Verletzten. Dann schlägt die Stunde der Ärzte - als Freiwillige versorgen sie die Verwundeten unter primitiven Bedingungen.

Von Indra Kley Veröffentlicht:
"Märtyrer" steht auf dem Kopfverband des Demonstranten in Kairo. Ärzte versorgen sie in Kellerräumen und Moscheen.

"Märtyrer" steht auf dem Kopfverband des Demonstranten in Kairo. Ärzte versorgen sie in Kellerräumen und Moscheen.

© UPI / imago

Dr. Hussam El-Bosraty schnappt nach Luft. Zu schnell hat der Arzt aus Kairo von den Ereignissen der vergangenen Tage erzählt. Zu viel hat er erlebt, als freiwilliger Helfer am Tahrir-Platz, dem Zentrum der ägyptischen Proteste.

"Das kann sich keiner vorstellen", sagt der 45-Jährige. "Wir haben Hunderte Verletzte behandelt, grundlegende medizinische Versorgung geleistet. Aber alle retten konnten wir leider nicht."

Ein ausgeräumter Keller in einem Gebäude am Tahrir-Platz ist seit mehr als einer Woche El-Bosratys Arbeitsstätte. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der sonst in der Universitätsklinik in Kairo tätig ist, ist einer von Hunderten ägyptischen Ärzten, die sich freiwillig gemeldet haben, um den verletzten Demonstranten zu helfen.

Die Regierung habe dafür keinerlei Maßnahmen getroffen. "Das haben wir alle selbst und mit Hilfe der ,Arab Doctors‘, einer Nichtregierungsorganisation hier, auf die Beine gestellt. Die haben Ärzte gesammelt und auf die Notlazarette verteilt", erzählt El-Bosraty.

Die mobilen Kliniken befinden sich nicht nur in normalen Wohn- und Geschäftshäusern rund um den Tahrir-Platz, sondern auch in Moscheen.

Um den Ansturm bewältigen zu können, arbeiten die Freiwilligen in Schichten. Denn trotz Ausgangssperre macht der Protest keine Pause. Wie El-Bosraty auch: "Wir alle haben uns unsere Schichten in den Krankenhäusern so gelegt, dass wir vor oder nach der eigentlichen Arbeit hier sein können."

60 bis 70 Ärzte sind somit immer vor Ort, um Erste Hilfe zu leisten. Für mehr reicht das, was die freiwilligen Helfer in ihrem Keller am Tahrir-Platz vorfinden, nicht aus.

"Wir haben keinerlei Geräte oder Instrumente hier, wir können die Verletzten eigentlich überhaupt nicht unterstützen." Nur stabilisieren, um sie dann in eines der umliegenden Krankenhäuser zu transportieren.

Dort ist die Lage nach Auskunft von Mario Stephen, dem Leiter der sich im Aufbau befindlichen Ägypten-Mission von "Ärzte ohne Grenzen", gut. "Es gibt genügend Ressourcen hier in den Kliniken und genügend qualifizierte Ärzte."

Trotzdem hat die Organisation in den vergangenen Tagen geholfen. "Viele Krankenhäuser hatten Angst, dass ihre Bestände nicht ausreichen würden", erzählt Stephen.

Hunderte Erste-Hilfe-Sets wurden darum von den "Ärzten ohne Grenzen" weitergeleitet, Material zum Nähen von Platzwunden und zur Behandlung von Verbrennungen. Stephen steht in ständigem Kontakt mit den lokalen Kliniken, um auf eventuelle Versorgungsengpässe reagieren zu können.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Tahrir-Platz gibt es drei öffentliche Kliniken. Über die Anzahl der Toten und Verletzten will Stephen keine Angaben machen. "Da gibt es zig unterschiedliche Quellen und Zahlen."

Doktor El-Busraty weiß hingegen, wie viele Demonstranten er und seine Kollegen nicht retten konnten: "In einer Nacht hatten wir 20 bis 30 Tote. Die meisten waren von scharfer Munition getroffen worden."

Die Zahl der Verletzten geht in die Hunderte, wenn nicht gar Tausende. "Schädelbasisbrüche von den Schlagstöcken, Platzwunden von den Steinen und schwere Verwundungen von den Gummigeschossen" seien die häufigsten Verletzungen.

Dass er vor Ort nicht mehr tun kann, als die Demonstranten notdürftig zu versorgen, frustriert El-Bosraty. "Die Verletzten kommen hierher, sehen einen Arzt und denken, dass wir sie nun retten. Aber was wir hier leisten können, ist total primitiv."

Seit Sonntag sei die Lage etwas entspannter. Die Menschen in Kairo versuchten, zurück in die Normalität zu gelangen. "Außer am Tahrir-Platz", betont El-Busraty, der auch heute wieder dort aushelfen wird.

Trotz der Opfer des Protests, die er in den vergangenen Tagen gesehen hat, ist der Optimismus in El-Bosratys Stimme nicht zu überhören. "Wir glauben, dass nun etwas Gutes mit Ägypten passieren wird. Wir werden vielleicht noch eine Weile leiden müssen", sagt er, "aber dann wird es am Ende umso schöner sein."

Lesen Sie dazu auch: Neue Spekulationen um deutsches Klinik-Exil für Mubarak Mubarak in die Uniklinik Heidelberg?

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