Krieg in der Ukraine

Bruderkrieg macht Transplantationschirurg fassungslos

Ärzte aus der Ukraine mobilisieren Hilfe für ihre Heimat. Einer von ihnen ist Dr. Hryhoriy Lapshyn, Transplantationschirurg in Lübeck. Er lobt die Solidarität von Deutschen angesichts der Situation.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Dr. Hryhoriy Lapshyn sorgt sich um Familien und Freunde in der Ukraine.

Dr. Hryhoriy Lapshyn sorgt sich um Familien und Freunde in der Ukraine.

© Dirk Schnack

Lübeck. Seit rund 13 Jahren arbeitet Dr. Hryhoriy Lapshyn als Arzt in Deutschland, seit rund einem Jahr ist er deutscher Staatsbürger. Aufgewachsen aber ist er in der Ukraine. Seine Gedanken sind in der alten Heimat und kreisen um die Frage, wie er helfen kann. Politische Schuldzuweisungen kommen ihm nicht über die Lippen.

Bilder von Detonationen rund um Kiew. In der Stadt werden Kalaschnikows wahllos an Männer verteilt, die sich verteidigen wollen. Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails kursieren. Lange Schlangen vor Versorgungsstellen. Hamsterkäufe.

Dr. Hryhoriy Lapshyn verfolgt all das fassungslos in den Medien. Lapshyn ist russischstämmiger Ukrainer, der als Oberarzt in der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck arbeitet.

Deutsche gegen Österreicher – das wäre vergleichbar

Krieg zwischen Russen gegen Ukrainern – für ihn ist das surreal. „Stellen Sie sich vor, Deutsche würden Krieg gegen Österreich führen“, vergleicht er die Situation.

Neben der Fassungslosigkeit beherrscht ihn die Sorge um Freunde, Bekannte und vor allem um seine Mutter, die in der Nähe von Kiew lebt. Am zweiten Tag des Krieges hofft er auf die Unterstützung eines ihm bekannten Deutschen aus Kiel, der das Land zu diesem späten Zeitpunkt noch nicht verlassen hatte und der auf dem Weg zur Grenze seine Mutter mitnehmen soll.

Lapshyns Schwester, die als Zahnärztin in München lebt und die sofort aufbrechen wollte, um die Mutter zu holen, hat er von der Fahrt dringend abgeraten.

Kein schlechtes Wort über Deutschland

Lapshyns Familie ist ein Beispiel für all jene Menschen aus Osteuropa, die die Werte des Westens attraktiv finden, die ihre Zukunft hier sehen und die Chancen hier nutzen. Es ist die Familie eines Großvaters, der noch mit den russischen Truppen gegen Nazi-Deutschland kämpfte und bis nach Berlin kam.

Über das Land des damaligen Kriegsgegners verlor sein Großvater anschließend nie ein böses Wort und so hält es sein Enkel, der seit dem vergangenen Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft hat, auch heute.

Deutschland zu lasch in den Sanktionen? Sind 5000 Helme nicht beschämend in der derzeitigen Situation? „Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin froh, dass ich Arzt bin, und kein Soldat oder Politiker. Aber ich kann mir vorstellen, dass die deutsche Politik weitsichtig handelt“, sagt er diplomatisch. An diesem Wochenende hat sich dann bekanntlich die Haltung der Bundesregierung zur Lieferung defensiv ausgerichteter Waffen geändert.

In seiner Heimat aber, so viel räumt Lapshyn ein, hatte zunächst viel Unverständnis darüber geherrscht, dass Deutschland der Ukraine keine Waffen zur Verteidigung gegen Russland geliefert hat. „Viele Ukrainer fühlen sich im Stich gelassen“, sagt er.

Viele Hilfsangebote von Deutschen

Statt weitere politische Wertungen vorzunehmen, schaut Lapshyn, wie er helfen kann. Jetzt könnte sich bewähren, dass er in all den Jahren in Deutschland stets den Kontakt in die Ukraine gepflegt und Hilfskanäle aufgebaut hat. Lapshyn sammelte hier ausrangiertes medizinisches Material und knüpfte Kontakte zu Hilfstransporten.

Jetzt sind nach seinen Informationen insbesondere Nahtmaterial, kleine Instrumente, Medikamente gefragt. „Es wird Transporte von Hannover und von München aus geben. Ich sorge dafür, dass dieses Material von dort aus mitgenommen wird“, versichert Lapshyn.

Über die Solidarität und konkrete Hilfe von Deutschland aus ist er beeindruckt. Die kommt nicht nur von der Ukrainischen Ärztevereinigung in Deutschland, in der Lapshyn Mitglied ist, sondern auch aus der Mitte der Bevölkerung. So wird Lapshyn seit Kriegsausbruch etwa angesprochen mit Angeboten, Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen.

Sprunghafter Anstieg von Flüchtlingen erwartet

Wie stark deren Zahl in den kommenden Tagen und Wochen ansteigen wird, ist auch für ihn derzeit nicht abzuschätzen. Rund 330.000 Menschen mit ukrai-nischem Hintergrund haben bislang in Deutschland gelebt. Lapshyn erwartet nun einen sprunghaften Anstieg.

Ob darunter auch die Krankenschwestern sein werden, für deren Vermittlung in das UKSH er sich mit einer Agentur seit Monaten bemüht, steht derzeit in den Sternen. Die Fachkräfte haben acht Monate Intensivsprachkurs hinter sich und noch vor dem Krieg Visa beantragt. Ihr Schicksal ist jetzt so ungewiss wie das vieler anderer Millionen Menschen aus der Ukraine.

Info: Kontakt für Hilfsanfragen: Tel: 0 151 / 40 11 83 56, Hryhoriy.Lapshyn@uksh.de

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