Praxiseröffnung in Frankfurt
Eine Psychiaterin für Obdachlose
Neurologin Eva Fučík hat in Frankfurt am Main eine Praxis eröffnet, in der sie wohnungslose Menschen behandelt. Ein seltenes Angebot für eine oft vergessene Gruppe.
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Eva Fučík, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, an ihrem Schreibtisch im Behandlungszimmer. Sie bietet eine niedrigschwellige psychiatrische Versorgung für wohnungslose Menschen an.
© Lando Hass/dpa
Frankfurt/Main. Viele Menschen, die auf der Straße leben, leiden unter psychischen Problemen. Doch der Weg in eine angemessene Behandlung sei ihnen meist versperrt, sagt Eva Fučík. Um Hilfe anzubieten, hat die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Frankfurt am Main eine Praxis eröffnet, die sich gezielt an Wohnsitzlose wendet.
Seit September vergangenen Jahres hat die Ärztin mehr als 100 Patientinnen und Patienten behandelt, darunter Menschen mit einer Suchterkrankung oder einer Depression. Andere fühlten sich verfolgt und hörten Stimmen: „Das kann Menschen dazu veranlassen, ihre Wohnung fluchtartig zu verlassen, weil sie fürchten, dort überwacht zu werden. Sie schlafen dann lieber auf der Straße“, sagt die 47-Jährige.
Hoher Bedarf, wenig Angebot
So könne eine psychische Erkrankung Obdachlosigkeit verursachen. Hilfe zu bekommen, sei für die Menschen schwer bis unmöglich. Denn sie überblickten oft kaum die nächsten Wochen, schildert die Ärztin die Situation: „Bei den meisten geht es ums Überleben: Wo kann ich nachts schlafen? Wo bekomme ich Essen? Auch gibt es häufig kein Handy oder kein Guthaben oder keine gültige Krankenkassenkarte.“
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Psychische Erkrankungen spielten eine zentrale Rolle im Zusammenhang mit Wohnungslosigkeit, sowohl als Ursache als auch als Folge, teilt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mit. Der Bedarf an Hilfen sei hoch, doch es gebe zu wenige geeignete Angebote.
Ärztin spricht Obdachlose an
Die Bundesregierung ging nach letzten Zahlen von Anfang 2024 von rund 531.600 wohnungslosen Menschen in Deutschland aus. Auf der Straße oder in Behelfsunterkünften lebten demnach rund 47.300 Menschen.
In Frankfurt sucht die Ärztin Fučík auch Obdachlose auf, die ihr von den Sozialdiensten genannt werden. Viele gingen trotz schwerer Symptome nicht zum Arzt. Das könne an schlechten Vorerfahrungen, Angst vor weiterer Stigmatisierung oder Scham liegen.
Ärztin widmete ihr Leben der Versorgung von Obdachlosen
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„Oft verhindert die psychische Erkrankung selbst, dass Hilfe gesucht wird. Das ist der große Unterschied zu regulären Praxen, dass wir auf die Menschen zugehen müssen“, sagt sie.
Der Praxiseröffnung ging eine einjährige Vorlaufzeit voraus, in der gegenüber den Behörden ausführlich und wiederholt die Notwendigkeit dargelegt werden musste. Schließlich erhielt die Praxis eine Genehmigung für zunächst zwei Jahre. Sie ist angegliedert an den Franziskustreff, der in Frankfurt ein Frühstück für 50 Cent sowie Sozialberatung anbietet.
Wichtige Unterlagen fehlen
Es gibt auch Patienten mit neurologischen Erkrankungen wie Demenz, Epilepsie oder Gangstörungen. „Es ist ein bisschen Detektivarbeit, mit dem Patienten zusammen müssen wir schauen, gibt es Angehörige, gab es vielleicht einmal einen Betreuer und welche Medikamente wurden schon eingenommen? Häufig fehlen wichtige Unterlagen“, sagt die Ärztin.
Ihre Arbeit beginnt mit dem Aufbau einer Beziehung: „Ich spreche die Menschen an, sage, dass ich Ärztin bin und frage, wie es ihnen geht, und irgendwann, vielleicht nach dem dritten Mal, kommen sie auch einmal in die Praxis. Es braucht Zeit, bis die Menschen Vertrauen fassen.“
Um dies zu erreichen, sei es wichtig, regelmäßige und verbindliche Sprechstunden anzubieten. „Es ist besonders für die Schwerstkranken wichtig, dass auch diese Versorgung professionalisiert wird. Sie haben die gleiche Behandlung verdient wie jeder andere“, sagt Fučík.
Ein Ziel der Praxis wie auch der Sozialberatung ist, die Menschen wieder in eine Krankenkasse zu bringen. Für Patienten ohne Krankenversicherung trägt die Franziskustreff-Stiftung die Kosten.
Normales Leben ermöglichen
Wenn Fučík Medikamente verschreibt, müssen die Patienten mehrmals in der Woche in die Praxis kommen, bis eine regelmäßige Einnahme sichergestellt ist. „Erstes Ziel ist, dass sie auch anderen Menschen vertrauen und beispielsweise in ein Wohnheim gehen können.“
Das kann schnell gehen oder länger dauern. „Ich erinnere mich an eine Person, mit der ich immer wieder Kontakt hatte. Nach einem halben Jahr stellte sich heraus, dass sie Stimmen hört und deshalb unter einer Brücke schläft. Mit den richtigen Medikamenten ging es ihr bald besser. Schließlich hatte sie auch wieder eine Wohnung und einen Job“, berichtet die Ärztin. „Den langen Atem muss man haben.“ (dpa)