„Das leere Sprechzimmer“

Erinnerungsprojekt: Was jüdische Ärzte nach dem Zweiten Weltkrieg bei ihrer Rückkehr nach Deutschland erlebten

Der Begriff Remigration ist heute politisch aufgeladen. Aber was genau bedeutet er – und was erlebten jüdische Ärzte, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurückkehrten? Damit hat sich ein Symposium zum Projekt „Das leere Sprechzimmer“ der DEGAM beschäftigt.

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Hannover. Längst bevor „Remigration“ in Deutschland politisch aufgeladen benutzt worden ist, war die Remigration unter anderem eine mit bitteren Erfahrungen verknüpfte Realität vieler jüdischer Ärztinnen und Ärzte, die aus Deutschland vor den Nazis fliehen mussten – und wieder heimkehrten.

So mussten manche Ärzte, die ins Land der Täter zurückgekommen waren, feststellen, dass nun andere Kollegen in ihrem Sprechzimmer saßen. Das sagte Professorin Eva Hummers auf dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) am Donnerstag in Hannover.

„Wir wollen den Rechten den Begriff wieder wegnehmen“, hieß es auf der Veranstaltung „Remigration? (k)eine Rückkehr ins Land der Täter.“

Biographie eines jüdischen Arztes aus Hannover

Im Erinnerungsprojekt „Das leere Sprechzimmer“ wurde im Rahmen eines Symposiums über den Begriff Remigration diskutiert – und über das Phänomen und damit verbundene Fragen. Auch Schicksale jüdischer Ärzte aus Hannover wurden beschrieben.

Zum Beispiel der jüdische Hannoveraner Orthopäde Bruno Valentin: 1936 kündigte das Annastift in Hannover dem anerkannten Orthopäden die Arbeitsstelle. Er musste seine Dienstwohnung verlassen und er wurde aller seiner Ämter enthoben. Kurz darauf folgte ein Publikationsverbot.

Er durfte sein Krankenhaus nicht mehr betreten, seine Kinder durften nicht studieren. „Er wurde aktiv vom Annastift vergessen“, sagte Stefan Martin auf der Veranstaltung in Hannover.

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Flucht nach Brasilien

Ab 1938 wurde auch noch den letzten jüdischen Ärzten die Approbation entzogen und es wurde ihnen verboten, zu praktizieren. 1938 konnten Valentin und seine Frau gerade noch vor der Progromnacht nach Brasilien fliehen – mit nichts weiter als zehn Mark in der Tasche. Er floh zu seinem Sohn, der nach Südamerika entkommen war.

Aber auch in Brasilien konnte Valentin nicht mehr als Arzt arbeiten. Zu viele Mediziner waren auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ins Land geströmt. So erschwerte die Regierung die Examina: Sie mussten auf Portugiesisch abgelegt werden. Aber Valentin arbeitete als Freiwilliger und gab Studenten Kurse in Orthopädie.

1967 konnte er durch die Vermittlung von Freunden wieder nach Deutschland zurückkehren – und wurde hoch geehrt: Ehrenmitgliedschaft zweier Fachgesellschaften, das große Bundesverdienstkreuz, die Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen. Bruno Valentin starb im Alter von 84 Jahren im Jahr 1969.

Bei der Rückkehr trafen viele auf Ablehnung

Aber die Remigranten waren nicht überall beliebt, erklärte Wiebke Lisner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethik, Geschichte und Philosophie der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „1946 war Umfragen zufolge nur bei 20 Prozent der Deutschen wenig Antisemitismus festzustellen gewesen.

Und im gleichen Jahr waren nur 15 Prozent der Bevölkerung dafür, wieder jüdisches Leben im Land zu haben. Erst seit den 90er Jahren war dieser Wert auf 80 Prozent gestiegen“ sagte sie.

„Man muss sich vor Augen halten, das die deutsche Bevölkerung keinen Unterschied machte zwischen Juden und Exilanten, die heimkehrten. „Exil galt als Landesverrat und diese Ablehnung haben viele Juden abbekommen“, sagte Lisner. Zugleich war die Ablehnung auch deshalb hoch, weil viele Deutsche Angst hatten, die Juden im Land könnten sich für das erlittene Unrecht rächen wollen und das gestohlene Eigentum zurückfordern.

Nur wenige Biograpahien unter jüdischen Ärzten sind so ausführlich erforscht, so Lisner. „Es wird Zeit für eine deutsch-jüdische Zeitgeschichte – wie ist die Gesellschaft mit den heimgekehrten Juden umgegangen?“

Das Erinnerungsprojekt „Das leere Sprechzimmer“ findet seit sechs Jahren im Rahmen des DEGAM-Jahreskongresses statt und widmet sich den jüdischen Ärztinnen und Ärzten unter den Opfern des Nationalsozialismus. (cben)

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