Nichts gelernt - kann das eine Berufskrankheit sein?
Das Bundesverfassungsgericht muss klären, ob eine in der Schule erworbene Schwerbehinderung eine sogenannte Wie-Berufskrankheit ist.
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Was passiert, wenn Legastheniker keine Hilfe bekommen? © belova / fotolia.com
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KASSEL. Die Frage, ob Schule krank machen kann, wird das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel schloss dies zwar nicht aus, es verwehrte aber einem Legastheniker eine Rente wegen psychischer Folgeschäden. Der Kläger will nun das Bundesverfassungsgericht anrufen: Mehreren Hunderttausend Kindern werde nicht nur eine angemessene Förderung verweigert; falscher pädagogischer Umgang in der Schule mache sie zusätzlich systematisch krank.
Nach Schätzung des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie (BVL) in Hannover sind von den beiden Lernstörungen jeweils etwa fünf Prozent aller Menschen betroffen. Davon seien bundesweit etwa 400 000 normal-intelligente Schulkinder. Abgesehen von Mecklenburg-Vorpommern würden sie aber nicht systematisch und störungsgerecht gefördert. Bei etwa 40 Prozent der betroffenen Kinder seien psychische und seelische Krankheiten die Folge, sagte BVL-Sprecherin Annette Höinghaus. "Man kann sagen, dass daran die Schule schuld ist."
Genau dies machte mit seiner Klage ein heute 20-Jähriger aus Niedersachsen geltend. Er ist psychisch krank, daher zu 60 Prozent schwerbehindert und hat trotz überdurchschnittlicher Intelligenz keinen Schulabschluss. Der falsche Umgang der Schule mit Legasthenie und Dyskalkulie habe ihn zusätzlich "neurotisiert". Vor den Sozialgerichten verlangte er die Anerkennung seiner psychischen Erkrankung als sogenannte Wie-Berufskrankheit. Dies ist eine Krankheit, die noch nicht in die offizielle Liste der Berufskrankheiten aufgenommen wurde, bei der das Gericht die Voraussetzungen hierfür aber als gegeben ansieht. Die Entschädigung ist Aufgabe der gesetzlichen Unfallversicherung; dort sind auch Schüler beitragsfrei versichert.
Das BSG wies die Klage aus formalen Gründen ab. Voraussetzung für eine Wie-Berufskrankheit sei hier, dass Schule nicht nur im Einzelfall, sondern generell negativ auf eine Gruppe von Kindern einwirke. Einer gegenteiligen Feststellung des LSG Celle habe der Kläger nicht rechtlich wirksam widersprochen.
Az.: B 2 U 13/09 R