Unter den Helfern sind auch Niedergelassene

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

Der Anruf bei Dr. Wolfgang Riske kam am 2. Weihnachtstag um 11.30 Uhr. In der Leitung die Zentrale der Hilfsorganisation Humedica: "Auf Sri Lanka hat es gekracht, können Sie helfen?" Der Landarzt und erfahrene Rettungsmediziner aus Meinersen bei Hannover mußte angesichts der Informationen über die Lage in Sri Lanka nach der Flutwelle nicht lange überlegen: "Da fahre ich hin."

Allerdings mußte zunächst noch einiges organisiert werden: Riske wollte vor allem mit seiner Frau sprechen, schließlich lag der letzte Einsatz erst einen Monat zurück - da war er auf den Philippinen. Außerdem brauchte er einen freundlichen Kollegen, der seinen Silvester-Notdienst übernehmen würde.

Um 15.30 Uhr, vier Stunden nach dem Anruf, saß er dann im Auto neben seiner Frau auf dem Weg nach Düsseldorf. Das Flugzeug der Fluggesellschaft LTU, das leer in Richtung Sri Lanka unterwegs war, um gestrandete Urlauber zurück nach Hause zu holen, startete um 20 Uhr, kostenlos an Bord Riske, zwei weitere Ärzte, zwei Assistenten, ein Koordinator und drei Kollegen vom Technischen Hilfswerk sowie unter anderem 350 Kilogramm Medikamente.

"Wir waren absolut das erste Team, und natürlich gab es erstmal logistische Probleme", berichtet Riske. Der Zoll in Sri Lanka hatte noch keine Anweisung, auf die Katastrophe zu reagieren, und so wurden die Medikamente am Flughafen in Colombo bei der Landung am 27. Dezember erstmal verplombt und festgesetzt. Erst mit Hilfe des Gesundheitsministeriums in Sri Lanka gelang es am nächsten Tag, das Material loszueisen.

Der Einsatz bei Katastrophen muß koordiniert werden: "Man kann nicht irgendwo hinstürzen, um zu helfen", sagt Riske. Mit Unterstützung der Deutschen Botschaft meldete sich das Humedica-Team bei einer UN-Organisation. Das Einsatzgebiet der Gruppe: der Nordosten von Sri Lanka um die Stadt Jaffna - eine Region, in der bis vor kurzem offener Bürgerkrieg zwischen der Zentralregierung und tamilischen Aufständischen herrschte.

Für uns war das eigentlich ein Heimspiel, weil Humedica in der Nähe von Jaffna ein Kinderheim unterhält, das wir als Stützpunkt nutzen konnten", erzählt Riske. Humedica wurde vor 25 Jahren als christlich motivierte Hilfsorganisation gegründet und schickte zunächst Hilfsmaterial wie Decken und Medikamente in Katastrophengebiete, engagiert sich aber auch in längerfristiger Arbeit wie der Unterhaltung von Kinderheimen.

Seit 1999 gibt es ein Ärzteteam, das in Notfällen rausgeht. 400 Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Sanitäter sind in der Kartei der Organisation verzeichnet. Der 61jährige Riske ist Mitbegründer des Ärzteteams, das erstmals bei einem Erdbeben in Kolumbien zum Einsatz kam.

Mit einer alten Fokker flogen die drei Ärzte in Sri Lanka ins Einsatzgebiet. Sie konnten dort sofort mit der Arbeit in Lagern im Hinterland der Küste beginnen, die für die Flüchtlinge der Flutwelle eingerichtet waren. Die Medikamente kamen einen Tag später mit dem Lkw nach. Riske und seine Kollegen waren für 17 000 Menschen in zunächst 28 Lagern zuständig.

In notdürftig aufgebauten Praxen zum Beispiel in Schulen - "Man nahm sich die Tische und die Stühle für Kinder " - gab es zwei Tische als Anlaufstellen für Patienten: An dem einen stellte ein Arzt die Diagnose und bestimmte die Behandlung, der Sanitäter übernahm den Rest und gab auch die Medikamente aus.

Später wurde das Team durch zwei Apotheker der Organisation Apotheker ohne Grenzen verstärkt - was den Ablauf deutlich beschleunigte. "17 000 Leute - da müssen Sie schnell arbeiten", so Riske. Auf einer Karte, die in der Hand des jeweiligen Patienten blieb, vermerkten die Ärzte, was dieser bekommen hatte, um die spätere Behandlung zu erleichtern.

Gearbeitet wurde bis zum Einbruch der Dunkelheit, teilweise auch länger. Allerdings gab es in den Lagern keinen Strom, was vor allem bei den vielen Schürfwunden bei den von der Welle Verletzten zu Problemen führte. Die Wellenopfer haben "Riß- und Schürfwunden bis zum Abwinken" gehabt, aber auch Prellungen und Frakturen - und geschädigte Seelen.

"Wir hatten viele traumatisierte Patienten", berichtet Riske. Viele hatten ihre Lebensgrundlagen - Angehörige, Haus, Fischerboot - verloren.

Von den eigentlichen Zerstörungen bekam das Ärzteteam zunächst gar nichts mit: "Erst Anfang Januar sind wir runter an die Küste gekommen, aber es war auf jeden Fall wichtig, auch emotional mitzubekommen, wo wir waren", sagt Riske. Die Bilder waren überwältigend: "Vollkommen zusammengefaltete Schiffe, eine Schule dem Erdboden gleichgemacht - vor Ort zu sein ist etwas ganz anderes, als die schlimmsten Fernsehbilder zu sehen."

Die Ärzte und Sanitäter hatten auf Sri Lanka vieles zu verarbeiten: "Natürlich entwickelt man als Notfallarzt eine gewisse Routine. Aber die Schicksale der Menschen gehen doch unter die Haut, das hat uns unheimlich gepackt", sagt Riske. Über persönliche Tiefen seien die Helfer im gemeinsamen Gebet und durch Gespräche - "pragmatische Seelsorge", wie Riske sich ausdrückt - hinweggekommen. Vor Katastrophen oder auch vor einem Einsatz als Unfallarzt fühle er sich immer insuffizient, "aber vor Ort geht dann der Puls runter, und die Arbeit beginnt."

Die Arbeit mit den Patienten sei dann stets sehr befriedigend: "Wir können frei verantwortlich handeln und haben nicht den ganzen Quatsch aus dem Gesundheitssystem zu berücksichtigen", so Riske. Die Ärzte mußten in den Lagern das gesamte Krankheitsspektrum abdecken, vom entzündeten Blinddarm, über die Lungenentzündung bis hin zu chronischen Krankheiten wie Diabetes. Die Katastrophe habe dabei mehrere Auswirkungen: "Die Leute werden schneller und schwerer krank, weil das Immunsystem geschädigt ist, bei chronisch Kranken ist die Dauermedikation abgerissen, und dann gibt es natürlich die infizierten Wunden, zuletzt nahmen auch die Gastroenteritiden zu."

Eine große Hilfe sind die Dolmetscher gewesen, überwiegend fortgeschrittene Medizinstudenten: "Die waren gut ausgebildet, sehr lernbegierig und fachlich super drauf", berichtet Riske. "Wir haben manches fachliche Gespräch geführt und uns teilweise auch an örtliche Gepflogenheiten angepaßt, zum Beispiel bei der Dosierung von Amoxicillin." Das Antibiotikum wird in Sri Lanka häufig mit dreimal 150 oder 250 Milligramm gegeben. Auch die Zusammenarbeit mit Kliniken hat gut geklappt.

Nach knapp zwei Wochen wurden Riske und seine Kollegen vom zweiten Ärzteteam von Humedica abgelöst, am vergangenen Donnerstag, am 6. Januar, war er wieder zu Hause. "Diese Katastrophe hat uns selbst gebeutelt, jetzt müssen wir erstmal durchatmen", so Riske am Freitag, noch unter dem Eindruck des Jetlags.

Heute ist seine Praxis in Meinersen wieder geöffnet. Nun ist er auch hier wieder als Arzt gefordert, keine leichte Aufgabe nach den Wochen in Sri Lanka: "Ich muß mich in mein Gegenüber eindenken, auch wenn ich die Bilder der Katastrophe noch im Kopf habe."

STICHWORT

Humedica

Humedica ist eine christlich motivierte deutsche Hilfsorganisation, die vor 25 Jahren gegründet wurde. Der Verein arbeitet nur mit wenigen hauptamtlichen Mitarbeitern und leistet Hilfe unter anderem durch Sachspenden und durch Fachpersonal, seit 1999 auch durch Ärzteteams. Die Organisation hat seit ihrer Gründung nach eigenen Angaben Tausende von Tonnen von Hilfsgüter verschickt.

Nach der Flutwelle in Südostasien gingen bereits mehrere Tonnen von Medikamenten und Verbandstoffen, gespendet von den Unternehmen Paul Hartmann, Lilly Deutschland und dem Hilfswerk der Bayerischen Apotheker, nach Colombo.

Außer der schnellen Katastrophenhilfe leistet Humedica auch dauerhafte Flüchtlingshilfe und unterhält dabei Kinderheime, zum Beispiel in Sri Lanka. Auch die Hilfe nach der Tsunami-Katastrophe ist dauerhaft angelegt. So können von aktuellen Spenden Ein-Raum-Fertighäuser für obdachlos gewordene Familien gebaut werden, die pro Haus 1100 Euro kosten. Auch Fischerboote und -netze will Humedica kaufen, damit die Bewohner sich eine neue Existenz aufbauen können. (ger)

Weitere Informationen im Internet: www.humedica.de

 

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