Von Papierschnipseln, Geld und der Schmerztoleranz

Die Welt der Placeboforschung hat viele Facetten und bietet zuweilen verblüffende Erkenntnisse.

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Schmerztoleranz kann sich erhöhen, wenn man Geld statt Papierschnipsel zählt.

Schmerztoleranz kann sich erhöhen, wenn man Geld statt Papierschnipsel zählt.

© MH / fotolia.com

FREISING (ak). Vergleicht man die Schmerzintensität, nachdem Patienten entweder Geldscheine oder lediglich Papierschnipsel gezählt haben, so ergibt sich ein bemerkenswerter Effekt: Bei den Menschen mit dem Geld in den Händen ist die Toleranzschwelle hinterher höher.

Dies ist eines von vielen Beispielen, die Dr. Andreas Kopf, Oberarzt an der Charité Berlin, bei einem vom Unternehmen Grünenthal organisierten Schmerzforum in Freising erläutert hat.

Verbale Akupunktur ist wirksamer als wortloses Nadelsetzen

Kopf, der auch Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums am Campus Benjamin Franklin ist, wies zum Beispiel darauf hin, dass das Aussehen des Therapeuten die Schmerztoleranz erhöht: Gefragt ist Seriosität. Das zuweilen klassische Anästhesisten-Outfit im "Labber-Shirt" und schon wochenlang in der Kantine herumliegenden Knitterkittel ist genau das Falsche, weiß der Arzt.

Weitere wichtige Aspekte, die nach Kopfs Worten Schmerztoleranz steigern und Analgetikaverbrauch senken: Verbale Akupunktur ist wirksamer als wortloses Nadelsetzen, helle Räume reduzieren den Opiatverbrauch, und auch der Anblick von Naturbildern im Vergleich zu abstrakten Gemälden reduziert den Bedarf an Schmerzmitteln.Eine nicht zu unterschätzende Rolle spiele darüber hinaus der emotionale und rituelle Kontext.

So zeigen etwa frisch Getrennte beim Anblick des Ex-Partners nach einem Hitzereiz am Unterarm eine im Vergleich zu Probanden ohne dieses Verlustereignis höhere Aktivität im Frontalhirn und der Inselregion.

Beste Ergebnisse, wenn Therapeuten an ihre Methoden glauben

Und selbst die Religion kommt beim Thema Schmerz ins Spiel: "Überzeugte Katholiken", so Kopf, "haben eine höhere Schmerztoleranz".Wird dem Schmerzpatienten eine anspruchsvolle Filmdokumentation gezeigt, nimmt er höhere Medikamentendosen als nach dem Genuß einer Komödie, berichtete der Anästhesist.

Wichtig sei auch die Einstellung des Therapeuten: die besten Ergebnisse erzielen diejenigen, die "mit Inbrunst an die eigenen Methoden glauben" und das auch verbalisieren.

Die Krönung sieht Kopf im operativen Eingriff als "schamanistischem Ritual": Der Patient wird entkleidet, in OP-Kittel gehüllt, von Vermummten "im Bewusstsein verändert" und schließlich noch "bemalt".

Kopf erinnerte in diesem Zusammenhang an eine 2002 im New England Journal publizierte Arthroskopiestudie von Bruce Moseley: Nur angedeutete Kniegelenksoperationen haben danach den gleichen Effekt wie korrekt umgesetzte. In der Studie wurden bei Knieschmerzpatienten arthroskopische Lavage und Débridement mit einer Scheinoperation in Analgosedierung inklusive Hautinzision verglichen.

Den Patienten wurde quasi eine Op "vorgegaukelt". Ergebnis in beiden Gruppen: Es zeigten sich weder Schmerzreduktion noch Funktionsverbesserung.

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