Nach Bund-Länder-Gipfel

Ärzte bezeichnen Corona-Beschlüsse als enttäuschend

Dass sich Bund und Länder nicht auf eine Bewertungsziffer zur Corona-Lage über die Inzidenz hinaus haben einigen können, stößt vielen Ärzten sauer auf. Auch das Aus kostenloser Schnelltests wird kritisiert.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Werbetafel für ein Corona-Schnelltest-Zentrum

Umstrittener Beschluss der Bund-Länder-Runde: Ab dem 11. Oktober sollen Corona-Tests kostenpflichtig werden.

© Sven Simon / Frank Hoermann / picture alliance

Berlin. Die Corona-Beschlüsse der Regierungschefs von Bund und Länder sind auf teils heftige Kritik gestoßen. Der Chef des Deutschen Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt sprach von enttäuschenden Ergebnissen.

Dringend nötig gewesen wäre ein „bundeseinheitliches, umfassendes Bewertungssystems des Pandemiegeschehens auf Basis unterschiedlicher Faktoren“, sagte Weigeldt den Zeitungen der „Funke“-Mediengruppe vom Mittwoch. Um ein solches System auszuarbeiten, sei genug Zeit gewesen in den vergangenen Monaten.

Zuvor hatte der Chef der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt angemahnt, die Einschätzung der Infektionslage nicht länger allein von der Inzidenz abhängig zu machen. Nötig seien weitere Parameter wie Hospitalisierungsgrad und Impfquote.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, Christine Aschenberg-Dugnus, sagte, die Ministerpräsidentenkonferenz habe erneut die „große Chance“ verpasst, ein Indikatorenmodell vorzulegen. „Denn in einer größtenteils geimpften Bevölkerung hat die Inzidenz an Aussagekraft verloren.“

Holetschek: Bund muss liefern

Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek, betonte, beim Thema Inzidenz und weitere Faktoren hätte er sich klarere Parameter gewünscht. Der Bund sei gefordert, hierzu etwas vorzulegen, sagte der CSU-Politiker am Mittwoch dem „Deutschlandfunk“.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte im Anschluss an die Bund-Länder-Schalte am Dienstag erklärt, die richtige Relation verschiedener Pandemie-Parameter sei eine knifflige Frage. Eine „Glücksformel“ sei noch nicht gefunden worden.

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In Berlin etwa kommt bereits ein Ampelsystem zur Einschätzung der Coronalage zum Einsatz – dabei wird auch die Bettenauslastung mit COVID-19-Patienten in Krankenhäusern berücksichtigt. Auch Österreich setzt auf eine Corona-Ampel. Hier entscheidet außer der Inzidenz die Häufung von Clusterausbrüchen darüber, ob die Ampel auf Grün, Gelb oder Rot steht.

Die Regierungschefs von Bund und Ländern hatten am Dienstag unter anderem eine 3G-Regel (Geimpft, genesen, getestet) für den Zugang zur Innengastronomie oder den Besuch von Krankenhäusern und Altenheimen beschlossen. Diese ist an eine Sieben-Tage-Inzidenz von 35 gekoppelt. Zudem wird das Angebot kostenloser Bürgertests ab 11. Oktober gestoppt.

VdK will weiter Gratis-Tests in Altenheimen

Der Sozialverband VdK erklärte, kostenlose Tests etwa in Alten- und Pflegeheimen seien über den Oktober hinaus „dringend notwendig“, um das Leben der Bewohner zu schützen: Allein im Juni habe es laut RKI 40 aktive Ausbrüche in den Einrichtungen gegeben. „Das zeigt, wie wichtig es ist, dass es weiterhin kostenfreie Tests für alle Besucher und Mitarbeiter dieser Einrichtungen gibt“, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele.

„Die Bundesregierung ist in der Pflicht, weiterhin kostenlose Corona-Schnelltests für alle Besucher in Pflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe zu gewährleisten“, mahnte auch die pflegepolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann. Menschen mit Pflegebedarf seien weiter besonders gefährdet und litten unter jeder Besuchseinschränkung.

Der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Hanno Kautz, sagte am Mittwoch bei der Bundespressekonferenz, es sei „prinzipiell sinnvoll“, Pflegeeinrichtungen und deren Bewohner vor Infektionen zu schützen. Tests seien ein Mittel, um den Alltag dort sicherer zu machen. Die genaue Ausformulierung, wie sich die Testverordnung des Bundes ab 11. Oktober ändere, „das folgt erst noch“.

Merkel-Sprecher: Brauchen höheren Prozentsatz an Geimpften

Regierungssprecher Steffen Seibert rief die Bundesbürger dazu auf, sich impfen zu lassen. Sichere und wirksame Vakzine seien ausreichend vorhanden. „Jeder in Deutschland kann sich jetzt, wenn er es noch nicht getan hat, impfen lassen und der Gemeinschaft helfen.“ Um die Pandemie in den Griff zu kriegen, brauche es einen „noch deutlich höheren Prozentsatz an Geimpften“, sagte Seibert.

Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind inzwischen 52,1 Millionen oder 62,7 Prozent der Bundesbürger mindestens einmal geimpft – 46,2 Millionen beziehungsweise 55,6 Prozent hätten den vollen Impfschutz erhalten, teilte Spahn am Mittwoch via „Twitter“ mit.

SPD: Mehr aufsuchende Impfangebote

SPD-Fraktions-Vize Bärbel Bas nannte es absehbar, dass die Zahl der Impfungen zurückgehen werde. Es brauche daher mehr aufsuchende Angebote und mobile Impfteams, betonte Bas. Man wisse allerdings immer noch zu wenig darüber, welche Menschen sich impfen lassen und welche nicht. Hierzu müssten Daten erhoben werden, um sich ein besseres Bild machen zu können.

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