Bahrs Medizin schmeckt Ärzten nicht
Budgetferien, zu lange Wartezeiten bei Fachärzten - Gesundheitsminister Bahr glaubte, das passende Rezept zu haben: Kollektivstrafen gegen die KVen. Doch einen Tag später rudert er zurück.
Veröffentlicht:BERLIN. Es klemmt in der deutschen Kassenmedizin. Das ist das zwingende Fazit einer Ärzte-Umfrage im Auftrag des AOK-Bundesverbandes, die seit dem Wochenende einigen Wirbel ausgelöst hat - nicht zuletzt aufgrund des Vorwurfs, ein Teil der Ärzte arbeite zu wenig.
Restriktionen erschweren die Arbeit, so die Ärzte
Doch nicht vermeintliche Faulheit, sondern gesetzlich und vertraglich vorgegebene Restriktionen erschweren gerade den besonders fleißigen Ärzten ihre Arbeit, wie die Umfrage belegt.
91 Prozent der Ärzte sind der Meinung, dass Budgetvorgaben ihre Therapiefreiheit unverhältnismäßig einschränkt, für 89 Prozent wird dadurch das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet.
Fallzahlbegrenzungen und Regelleistungsvolumina führen dazu, dass Vertragsärzte sich gegen Ende eines Quartals rar machen: "Budgetferien".
41 Prozent der Hausärzte und 38 Prozent der Fachärzte glauben, dass 60 Prozent oder mehr ihrer Kollegen aus Budgetgründen am Quartalsende die Praxis schließt. Soweit die Wahrnehmung unter Ärzten.
"Budgetferien" bis zu elf Tagen
Und das tatsächliche Verhalten? Von sich selbst berichten 30 Prozent der Hausärzte und 28 Prozent der Fachärzte, dass sie bereits "Budgetferien" praktiziert haben, 39 und 34 Prozent haben dies erwogen, und für ein knappes Drittel kommt das nicht in Frage.
Durchweg ist die Schließung der Praxis kurz: bei 53 Prozent der Hausärzte und 56 Prozent der Fachärzte dauert sie bis zu einer Woche; bei 18 Prozent der Hausärzte und acht Prozent der Spezialisten ist die Praxis an elf Werktagen oder mehr geschlossen.
Unterschiede im Terminmangement zwischen Haus- und Fachärzten:
Deutliche Unterschiede im Terminmanagement zeigen sich zwischen Haus- und Fachärzten: ein Drittel der Hausärzte, aber 56 Prozent der Fachärzte verschieben Termine bewusst ins Folgequartal. Bei 41 Prozent der Hausärzte ist dies noch nie passiert und kommt auch nicht in Frage - mit 20 Prozent ist hier der Anteil der Fachärzte deutlich kleiner.
Ein möglicher Grund: Erstversorgende Hausärzte werden sehr viel häufiger in Notfallsituationen in Anspruch genommen, bei denen Hilfe nicht verschoben werden kann. Anders bei Fachärzten, die häufig geplant für Diagnostik und Therapie in Anspruch genommmen werden.
Bahr wollte die fachärztliche Versorgung gesetzlich regeln und scheiterte
Für Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr Grund genug, noch einmal auch die Sicherstellung der fachärztlichen Versorgung durch die KVen im Gesetz explizit festzuschreiben. Werden bestimmte Wartezeiten überschritten, dann sollen die Kassen ambulante Behandlung im Krankenhaus vermitteln können und sich die Kosten dafür bei der KV zurückholen.
So weit der Plan, der bis Montag galt. Kaum publik, sprang die gesamte Opposition den Ärzten zur Seite und dem vermeintlichen Ärzte-Liebling Bahr in den Nacken. Der ruderte zurück. Sanktionen bei zu langen Wartezeiten auszusprechen, soll Sache der Selbstverwaltung sein.
"An Naivität nicht zu überbieten", so die SPD
Aus Sicht der SPD-Politikerin Carola Reimann ist Bahrs ursprünglicher Vorschlag "an Naivität nicht zu überbieten". Eine Sippenhaft für Ärzte sei ungerecht. Es wäre "wahnwitzig", wenn sich wirklich alle Patienten künftig stationär behandeln lassen würden.
Der Plan unterstelle, dass es genügend Ressourcen in Kliniken gebe. Zudem gebe es große Unterschiede bei den Wartezeiten zwischen den einzelnen Arztgruppen. Hier seien die Ärzte gefragt, sich gegenseitig genauer auf die Finger zu schauen, sagte Reimann.
An den Strukturen und der Vernetzung in der Versorgung arbeiten, so die Grünen
Ähnlich äußerte sich Grünen-Politikerin Birgitt Bender. Bahrs Vorschlag sei ein "hilfloser Reparaturversuch", vielmehr müsse an den Strukturen gearbeitet werden. "Es muss gleiche Spielregeln für alle geben", so Bender - "und zwar ohne Honorareinbußen für die Ärzte".
Es sei sinnvoll an der Vernetzung in der Versorgung zu arbeiten, "und nicht an Strafaktionen gegen die Ärzte", so Bender.
Linken-Politikerin Martina Bunge betonte, dass die Zweiklassenversorgung nur dann aufhöre, "wenn man deren Ursache beendet". Dazu müsse man die Privatversicherung als Vollversicherung abschaffen.
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