Der Standpunkt

Ohne liberales Rückgrat

Lange Wartezeiten und zu geringe Arbeitszeiten - die Vorwürfe aus der vergangenen Woche sind harsch. Gesundheitsminister Bahr holt den Knüppel aus dem Sack und droht mit Strafen. Der falsche Weg, meint Helmut Laschet. Bahr muss sich auf seine liberalen Wurzeln zurückbesinnen.

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Der Autor ist stellv. Chefredakteur und Ressortleiter Gesundheitspolitik bei der Ärzte Zeitung. Schreiben Sie ihm: helmut.laschet@ springer.com

Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln - hilflos pendelt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zwischen harter Sanktionspolitik des Gesetzgebers und weichgespülten Ermahnungen an die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen.

Zwischen Selbstüberschätzung der Politik und deren Einknicken bei lautstarkem Protest.

Es geht um die Fragen, wie viele Ärzte tatsächlich arbeiten, was sie für Kassenpatienten leisten und in welchem Ausmaß Budgets und Mengenrestriktionen zu Wartezeiten und Budgetferien führen.

Themen einer Umfrage des AOK-Bundesverbandes, die Ende letzter Woche publiziert wurde. Die Ergebnisse zeigen Licht und Schatten der ärztlichen Versorgung.

Es ist eine Minderheit von etwa einem Drittel der Fachärzte und einem Fünftel der Hausärzte, die den wöchentlichen Arbeitsdurchschnitt nach unten zieht. Aber auch diese Minderheiten sind nicht unbedingt faule Kollegen.

Ein Gutteil der Vertragsärzte ist inzwischen älter als 60 - und tritt möglicherweise deshalb etwas kürzer. Es gibt Ärzte, die standortbedingt einen hohen Anteil an Privatpatienten haben. Ist das vorwerfbar?

Ärzte reagieren aber auch auf Restriktionen wie Fallzahlbegrenzungen und Regelleistungsvolumina, die KVen und Kassen auf gesetzlicher Grundlage vereinbart haben.

Es ist zumindest verständlich, wenn darauf mit restriktiver Terminvergabe reagiert wird. Das muss allerdings - nach medizinischer Dringlichkeit - differenziert geschehen.

Aber auch dies zeigt die AOK-Umfrage: eine extreme Spannbreite der Arbeitsbelastung, die teils über 75 Wochenstunden hinausreicht. Dass vor allem bei diesen Ärzten Wartezeiten entstehen, ist schon ein mathematisches Gesetz.

Hier helfen weder der Knüppel aus dem Sack noch bürokratische Schaufenster-Regelungen in einem ohnehin an Lyrik reichen Sozialgesetz.

Vielleicht sollte sich der Bundesgesundheitsminister einiger liberaler Grundüberzeugungen erinnern: Eigenverantwortung, Gestaltungsfreiheit und die Fähigkeit der Menschen zur Kreativität.

Lesen Sie dazu auch: Bahr zieht seine Strafaktion gegen Ärzte zurück Bahrs Medizin schmeckt Ärzten nicht

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Glosse

Die Duftmarke: Personalisierte Medizin

Kommentare
Angelika Christina Oles-Guhl 06.09.201110:58 Uhr

Volle Zustimmung

Dem Statement meiner Vorrednerin schließe ich mich vollständig an.
Meiner Meinung nach bedarf es schon langjähriger direkter Erfahrung als Selbstbetroffener Arzt, um die Tücken der heutigen Niederlassung voll zu erfassen. Ärzte sind nun aber in der Regel keine Politiker und deshalb sollten sie evtl. auch etwas toleranter mit ihren Gesundheitsministern umgehen. Wie soll denn jemand ein solch schweres Erbe auf Anhieb perfekt meistern?

Die meisten Ärzte sind doch aus positiven Gründen diesem Stand beigetreten. Kaum einer (vor allem der jüngeren Generation) ist Arzt geworden, weil sich damit so viel Geld machen lässt.
Im Gegenteil: die meisten geben ihr Bestes, versuchen die Quadratur des Kreises, auch was die Terminvereinbarung betrifft. Nicht zu vergessen, dass nicht jeder Zulassungsort mit einem hohen Privatpatientenanteil assoziiert ist. Und die privaten Kassen helfen derzeit ja noch zu einem nicht zu vernachlässigenden Anteil bei der kassenübergreifenden Versorgung der Patienten mit.

Also: ich finde, man sollte dem jungen Bundesgesundheitsminister erst einmal eine Chance geben und nicht direkt loswettern. Irgendwie wird es schon (irgendwann) geregelt ablaufen und solange geben wir eben nach wie vor Alles. Dass man hierbei leicht abstumpft, müssen wir halt auch noch hin nehmen...

Claudia Schrewe 05.09.201117:24 Uhr

Wohltuend polemikfrei

Vielen Dank für diese dezent korrigierenden Worte von Herrn Laschet zu der seit Wochen andauernden Torpedierung und Diskreditierung eines Berufsstandes.
Bei allem Verständnis für Wahldemagogie und wettbewerbsgepeitschte Krankenkassen:
Das geht zu weit.

Und wer es bis heute nicht verstanden hat: Ärzte unterliegen nicht der Eurosteuerung, verweigern immer öfter die "Futtertaste".
Wer das Image des Arztes um den weißen Kittel beraubt und die Menschen darin nackt der öffentlíchen Hähme aussetzt, braucht keine weiteren Studienplätze mehr schaffen.
Wer geht schon freiwillig aufs Schafott?

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