Leitartikel zum Hausarzt-EBM

Beerdigung vor der Geburt?

Dem Hausarzt-EBM droht das Aus. Denn bei der Sonder-VV der KBV sind offenbar die Fetzen geflogen. Der Vorstand hat sich selbst in ein Korsett gezwungen - sich daraus zu befreien, scheint kaum möglich.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Welche Diagnose stellen die Kassen?Am Mittwoch kommt’s drauf an.

Welche Diagnose stellen die Kassen?Am Mittwoch kommt’s drauf an.

© thomas lehmann / imago

Droht dem neuen Hausarzt-EBM das vorzeitige Aus? Das ist seit der jüngsten Vertreterversammlung am vergangenen Freitag nicht mehr ausgeschlossen.

Denn die Fesseln, die sich der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) selbst angelegt hat, wird er so schnell nicht mehr los.

Es gibt keinen Spielraum, so dass davon auszugehen ist, dass die Verhandlungen mit den Krankenkassen am Mittwoch im Bewertungsausschuss scheitern werden. Doch der Reihe nach.

Nachdem sich der Pulverdampf nach einer der "lautesten" Vertreterversammlungen gelegt hat - so berichten zumindest Teilnehmer im Unterschied zu einer Einschätzung, die etwa Westfalens KV-Vorstand Dr. Axel Dryden am vergangenen Freitag der "Ärzte Zeitung" abgegeben hat - wird deutlich, was die Delegierten in ihrer Sitzung verabschiedet haben.

Es geht um einen Antrag, der vom Vorstand eingebracht und mit einer Mehrheit von 26 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 16 Enthaltungen verabschiedet worden war. Darin verpflichtet sich der KBV-Vorstand, getreu den Entscheidungen vom 26. Mai 2013, den Entwurf zu den hausärztlichen Leistungen in den Bewertungsausschuss einzubringen.

Weiter heißt es dann kryptisch: "Die Abbildung und Vergütung der hausärztlichen Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab abwandelnden versorgungsfremden Änderungsanträge der Krankenkassen sind abzulehnen, da ansonsten die Zielsetzung dieser Reform nicht erreicht wird."

Dazu muss man wissen, dass es einen zweiseitigen Katalog an Änderungswünschen der Kassen geben soll, der für die KBV-Verhandlungsseite kaum akzeptabel sein dürfte. Das schätzt zumindest Walter Plassman, KV-Chef in Hamburg, so ein.

Kein Erweiterter Bewertungsausschuss

Um die Messlatte für erfolgreiche Verhandlungen noch höher zu legen, folgen zwei entscheidende Sätze im Antrag. Denn sollte es keinen Konsens im Sinne der KBV geben, werde man den "Beschlussantrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit allen für die Versorgung der Versicherten in der GKV resultierenden Konsequenzen zurückziehen".

Und: "Der Erweiterte Bewertungssausschuss wird nicht angerufen, da daraus resultierende Kompromisse nicht akzeptabel sind." Damit ist die ultimative Linie klar vorgegeben: entweder stimmen die Kassen zu oder die KBV erklärt die Gespräche für gescheitert.

Darüber hinaus gibt es eine weitere Forderung. Darin verlangt die KBV eine Nachbesserungs-Option, wonach alle Änderungen, die sich aufgrund der Simulationsberechnungen der KBV und der Kassenärztlichen Vereinigungen als notwendig erweisen, bis zum 1. Oktober 2013 aufgenommen werden sollen.

Auch hier ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen diesen Blanko-Scheck nicht unterzeichnen werden.

Beim Thema Simulationsberechnungen trübt sich der Himmel über der KBV: Die Umverteilung zu Lasten des Ruhrgebiets, die von Dryden als nicht akzeptabel dargestellt werden, haben offenbar in der vergangenen Woche die Diskussionen in der KBV beherrscht.

Plassmann spricht davon, dass immer wieder unterschiedliche Simulationsberechnungen am Montag, am Mittwoch und schließlich in der Freitags-VV präsentiert worden seien. Selbst im Anschluss an ihre Präsentation habe KBV-Vorstand Regina Feldmann wieder angekündigt, dass man die Simulationsberechnung mit Blick auf die Situation im Ruhrgebiet wieder angepasst habe.

Minimal-Konsens kaschiert die Spannungen

Seine Bitte, man möge ihm die Berechnungen zur Verfügung stellen, sei verwehrt worden, so Plassmann. Der KV-Chef weiter: "Ich kann zu den Inhalten nichts sagen - niemand kann das, weil wir die Inhalte nicht kennen."

Die aktuelle Diskussion um den Hausarzt-EBM zeigt einmal mehr die Unzufriedenheit innerhalb der Hausärztefraktion. Dabei wird immer deutlicher, dass die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern des neuen EBM tiefer sind, als bisher angenommen.

Der am Freitag gefundene Kompromiss zur Ausgestaltung des Verhandlungsmandats der KBV-Spitze kann nur als Minimal-Konsens gewertet werden. Damit sind die Unsicherheiten, die etwa mit den Simulationsberechnungen verbunden sind, längst nicht vom Tisch.

Dabei bläst der Verhandlungsführerin Feldmann der Wind heftig ins Gesicht. Klar ist: Hier muss nachgebessert werden.

Mit Spannung darf auf den Mittwoch geschaut werden, ob die Krankenkassen bereit sind, den Forderungen der KBV uneingeschränkt zu folgen. Tun sie das nicht, wäre damit der Hausarzt-EBM vorerst gescheitert. Ein neuer Anlauf würde zu erheblich Zeitverzögerungen führen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 25.06.201316:02 Uhr

"Die Leiche, die stromaufwärts schwimmt"

Dieser Hausarzt-EBM ist das klassische Paradoxon einer "Leiche, die stromaufwärts schwimmt". Denn wie will der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ernsthaft Verhandlungen führen, wenn er sich selbst mit einem 3-stufigen "Wahltarif-Modell" für GKV-Patienten und -Kassen ad absurdum führt. Auf der Vertreterversammlung (VV) der KBV am 1.3.2013 hatte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. med Andreas Köhler vorgeschlagen, GKV-Versicherte künftig im Kollektivvertrag mit drei Wahltarifen zu versichern:

Wahltarif I überließe nach Köhlers Vorstellungen demnach einem Versicherten die freie Wahl seines Hausarztes. Für jeden Gang zum Facharzt wäre eine Überweisung erforderlich. Andernfalls müsste das GKV-Mitglied die Behandlungen dort per Rechnung begleichen, um sich danach den Betrag von seiner Krankenkasse erstatten zu lassen.
Tarif II ließe einem Versicherten freie Haus- und Facharztwahl. Das Sachleistungsprinzip würde jedoch grundsätzlich nur für die hausärztliche Versorgung gelten. Für alle fachärztlichen Behandlungen wäre dann ausschließlich die Kostenerstattung vorgesehen.
Tarif III gewährte ebenfalls freie Haus- und Facharztwahl. Die Behandlung wäre in beiden Gruppen auf Basis des Sachleistungsprinzips abzurechnen. Dafür wäre bei Versicherten, die dies in Anspruch nehmen wollten, ein Extra-Zusatzbeitrag bei ihrer Gesetzlichen Krankenkasse zu bezahlen.

Jeder Laie fragt sich, wie zugleich ein neuer, besserer und leistungsgerechterer Hausarzt-EBM im Rahmen des geltenden Sozialgesetzbuchs (SGB V) mit den Gesetzlichen Krankenkassen entwickelt werden soll, wenn der eine Sozialpartner derartige "Wahltarif"-Flausen im Kopf hat. Um die Verwirrung der gesamten KBV-Führung durch Destabilisierung perfekt zu machen, sekundierten ausgerechnet der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) und die Delegierten des 116. Deutschen Ärztetags in Hannover mit einem eindeutigen Votum p r o "Kopfpauschale" und g e g e n eine real bereits existierende "Bürgerversicherungs"-GKV in Form einer Art "Blutgrätsche".

Wenn die KBV selbst und ebenso ungefragt wie inkompetent die BÄK die Grundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung GKV in Deutschland aus purem parteipolitischen Kalkül aus den Angeln heben wollen, wobei ihnen dabei nur noch die kleine FDP überhaupt folgen könnte, darf sich die KBV- Verhandlungsführerin und hausärztliche Kollegin Regina Feldmann nicht wundern, wenn ihr eisiger Wind entgegen bläst.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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