Bundestag im Corona-Modus

COVID-19-Milliardenpaket und Beifall für die Helden der Nation

Das Coronavirus setzt das Parlament in den Notbetrieb. Handlungsfähig will man dennoch sein: Im Kampf gegen die Epidemie sollen 156 Milliarden Euro freigegeben werden – und Gesundheitsminister Spahn mehr Befugnisse bekommen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Um eine Ansteckungsgefahr zu minimieren, blieben am Mittwoch im Bundestag zwischen jedem Abgeordneten mindestens zwei Stühle frei.

Um eine Ansteckungsgefahr zu minimieren, blieben am Mittwoch im Bundestag zwischen jedem Abgeordneten mindestens zwei Stühle frei.

© Michael Kappeler / dpa

Berlin. Normalerweise sind die Reihen des Bundestags bei Entscheidungen wie diesen dicht gefüllt. Es geht um Rekordschulden: 156 Milliarden Euro stellt die Bundesregierung bereit, um die Folgen der Corona-Epidemie für Unternehmen, Arbeitnehmer, Familien, Arztpraxen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen abzumindern. Um das tun zu können, wird die Schuldenbremse ausgesetzt.

Normalerweise würde gestritten und gerungen, wenn es um solche Dinge geht. Und üblicherweise würde Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Aussprache eröffnen.

Doch normal ist in diesen Corona-Tagen nichts. Soziale Kontakte sind eingeschränkt, Schulen, Kitas und Hochschulen geschlossen. Das öffentliche Leben ist heruntergefahren. Millionen Bundesbürger arbeiten von zu Hause. Ärzte, Pflegekräfte, Labore, Apotheken haben in den Krisenmodus geschaltet. Der Bundestag debattiert in abgespeckter Form. Rednerpulte werden desinfiziert, je zwei Stühle zwischen jedem Abgeordneten aus Sicherheitsgründen freigelassen. Die Kanzlerin ist wegen des Kontakts zu einem Corona-infizierten Arzt in häuslicher Quarantäne.

Scholz: Vor uns liegen harte Wochen

An diesem Mittwochmorgen tritt daher Vize-Kanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) als erster ans Rednerpult. „Die Krise ist groß. Sie ist eine schicksalhafte Herausforderung“, sagt Scholz. Die Corona-Epidemie zeige, wie verletzlich die Menschen seien. „Vor uns liegen harte Wochen, aber wir können sie bewältigen.“ Das, was Deutschland jetzt brauche, „ist Solidarität“.

Die Corona-Epidemie verändere das Privat- und Arbeitsleben aller Menschen, betont auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und setzt hinzu: „Wir erleben tiefe Einschnitte in die bürgerlichen Freiheiten.“ Daran gebe es nichts zu beschönigen. „Daran gibt es andererseits auch nichts zu dramatisieren.“

Spahn: Disziplin rettet Menschenleben

Die Bürger seien bereit, „aus gutem Gründen eine Zeit lang“ auf Freiheiten zu verzichten, meint Spahn. Die übergroße Mehrheit der Menschen bleibe so oft wie möglich zuhause. „Diese Disziplin und dieses Verantwortungsgefühl retten jetzt Leben.“

Auch die Solidarität mit all denen, die in der Coronakrise täglich im Einsatz seien, sei groß. „Wir alle wissen, wie viel die Frauen und Männer in den Krankenhäusern, den Praxen, Supermärkten, Versorgungsbetrieben, Behörden und in vielen anderen Stellen leisten.“

Deutschland kämpfe „sehr geschlossen und entschlossen gegen Corona“, zeigt sich Spahn überzeugt. Bund und Länder arbeiteten gemeinsam daran, Intensivkapazitäten im Land zu verdoppeln. Krankenhäuser würden dafür planbare Eingriffe verschieben.

Nehmen Ländern keine Kompetenzen weg

Das Infektionsschutzgesetz werde erweitert und präzisiert, sagt Spahn. Die Kompetenzen der Länder würden dadurch aber nicht beschnitten. „Vielmehr wollen wir dem Bund in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite zusätzliche Handlungsmöglichkeiten geben – und zwar dort, wo es sinnvoll ist und zunächst auf ein Jahr begrenzt.“ In einer Lage wie der Coronakrise brauche es einheitliche Entscheidungen. „Das ersetzt nicht die immense Arbeit, die Länder und Kommunen gerade leisten, es ergänzt sie.“

Vieles ist anders in diesen Tagen. Auch im Bundestag. Geschlossen stehen die Abgeordneten auf und bedanken sich bei Ärzten, Pflegekräften, Verkäuferinnen mit langem Beifall dafür, „dass sie bis an die Grenzen der Belastbarkeit gehen“, wie es Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) formuliert.

„Deutschland wird ein besseres Land sein danach“

„Die Menschen wachsen derzeit über sich hinaus“, sagt Unionsfraktions-Vorsitzender Ralph Brinkhaus. Die Coronakrise sei einmalig, weil sich keiner entziehen könne. „Sie betrifft wirklich jeden.“ Deutschland setze im Kampf gegen das Virus Geld ein, das man sich in den vergangenen Jahren erwirtschaftet habe.

Niemand könne derzeit sagen, wie lange die Krise andauere. „Wenn wir aber zusammenhalten, wenn wir gemeinsam kämpfen, wenn wir solidarisch sind, dann wird Deutschland nach Corona ein besseres Land sein.“

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Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckhardt sagt, lange sei Deutschland nicht mehr so geprägt gewesen von Einsamkeit, aber auch von gegenseitiger Hilfe. Menschen rückten zusammen und auseinander wie nie zuvor“. Die Politik könne nicht alles wissen, jede Frage beantworten, da das Coronavirus neu sei.

„Wir fragen Virologen, Hausärzte, Polizisten, Feuerwehrleute, weil wir noch nicht alle Antworten haben“, sagt Göring-Eckhardt. „Wir werden Fehler machen.“ Es brauche jetzt gemeinsames Handeln. Den Menschen draußen sage sie. „Bleiben Sie zu Hause, halten Sie Abstand und halten wir zusammen.“

Gehaltszuschlag für medizinisches Fachpersonal und Pflege

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali nimmt Partei für die Beschäftigten im Gesundheitswesen und im Einzelhandel. „Ihnen wird in diesen Tagen zu Recht oft gedankt.“ Aber dieser Dank sollte sich nicht nur in Worten erschöpfen. Einen Gehaltszuschlag von 500 Euro für Pflegekräfte oder Verkäuferinnen sei das Mindeste, was diese Menschen in dieser schweren Krise erwarten könnten. Göring-Eckhardt spricht gar von „den Helden der Nation“. Sie verdienten direkte Unterstützung.

AfD-Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland verlangt „einen Plan für die nächsten Monate“. Die Menschen hätten wegen Corona Angst. Um ihnen diese zu nehmen, brauche es mehr als Geld. Das Robert Koch-Institut habe bereits 2012 ein „detailliertes“ Katastrophenszenario einer durch einen SARS-Virus ausgelösten Pandemie durchgespielt. Die Regierung hätte sich also vorbereiten können. Das sei zu wenig geschehen. So beklagten Ärzte seit Wochen das Fehlen von Schutzausrüstung.

Zusammenstehen sei jetzt „erste Bürgerpflicht“, nimmt aber auch Gauland Schärfe aus der Debatte. Die AfD werde den finanziellen Maßnahmen und gesetzlichen Änderungen „weitgehend“ zustimmen, sofern diese auf die Dauer der Coronakrise beschränkt seien.

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