Bewerber um SPD-Vorsitz
Castingshow voller Schlagworte
Die SPD sucht eine neue Führung: In 23 Regionalkonferenzen stellen sich 15 Bewerber vor. Beim Schaulaufen bleibt aber oft nur Zeit für Schlagworte – auch bei den Themen Gesundheit und Pflege.
Veröffentlicht:HANNOVER. Halb Quiz, halb Nummernrevue. 15 Bewerberinnen und Bewerber auf den SPD-Parteivorsitz buhlten auf der zweiten von insgesamt 23 Regionalkonferenzen der Partei um die Gunst der geschätzt 1000 Parteimitglieder, die am 6. September nach Hannover gekommen waren. Drei Paare stachen heraus. Auch gesundheitspolitische Themen kamen auf die Agenda.
Die eng getaktete Tagesordnung erlaubte es keinem der Bewerberpaare, groß zu argumentieren: Selbstvorstellung, Fragen des Moderators, Fragen des Publikums und schließlich Schlussstatement. Das war’s.
Meist stand den Kandidaten nur eine Minute zur Verfügung, um auf Fragen zu antworten und immerhin fünf Minuten pro Paar, um sich vorzustellen. Auf der Bühne zählte deutlich sichtbar eine Digitaluhr die Sekunden herunter.
Wer überzog, dem schnitt Moderator Björn Sobolewski im Zweifel mitten im Satz das Wort ab. Eine Meinung, ein Schlagwort, eine möglichst kämpferisch und griffig klingende Phrase mussten genügen, um die Paare erkennbar und unterscheidbar zu machen.
„Wir haben genug Ex-Vorsitzende“
„Einen schönen guten Abend, Hannover! Wir sind Christina und Michael!“ – so führten sich Michael Roth und Christina Kampmann den Genossen ein. Gemeint sei kein Schlagerduo, sondern ein „extrem motiviertes Paar“, sagte Kampmann, Landtagsabgeordnete in NRW.
Die beiden hatten mit ihrer plakativen Art vielleicht die beste Antwort auf das Veranstaltungsformat gefunden. Man wolle sich nicht mit Kinderarmut abfinden und die Digitalisierung vorantreiben, rief Kampmann ins Publikum. Würden sie gewählt, würden sie bleiben. „Wir haben genug Ex-Vorsitzende in dieser Partei“, rief Roth in den Applaus hinein.
Den Gegenpol zum betont ausgeschlafen auftretenden Duo Kampmann/Roth bildeten Klara Geywitz, Landtagsabgeordnete aus Potsdam, und Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Scholz musste immer wieder die auf dem Podium geäußerten Zweifel an der GroKo in Berlin und der schwarzen Null auf dem Bundeskonto milde weglächeln.
Er forderte einen „stabilen und sicheren Sozialstaat, in dem jeder den Respekt genießt, den er verdient.“ In Zahlen – einen Mindestlohn von zwölf Euro. Geywitz schoss in Richtung der Grünen und sprach sich für eine „ökologische Industriepolitik“ aus, aber gegen eine „Lifestyle-Politik.“
Köpping: Schluss mit Schuldenbremse!
Petra Köpping, Gleichstellungsministerin in Sachsen, und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius forderten dagegen mehr Investitionen und damit Schluss mit der Schuldenbremse. Man benötige in den kommenden Jahren zusätzliche mehrere 100 Milliarden Euro, nie sei das Geld billiger gewesen.
„Olaf, bück dich und heb’ die 100-Euro-Scheine auf!“, rief Verdi-Mann Dierk Hirschel, der zusammen mit der Bundestagsabgeordneten Hilde Mattheis antritt. Eine grüne Null sei besser als eine schwarze.
Auch Gesundheitsthemen kamen aufs Tapet, und zwar nicht nur durch Karl Lauterbach, sondern auch vom Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Brunner, dem „Leichtmatrosen aus dem Alpenland“ (Brunner über Brunner), dem einzigen Solisten unter den Bewerbern. Der Gesundheits- und Rentenbereich müsse wieder auf Kurs gebracht werden, sagte er. „Ich bin ein Verfechter der Bürgerversicherung, das wisst Ihr!“ Großer Applaus.
Die Politologin Gesine Schwan sprach sich für mehr Geld für die Pflege aus. Schwan tritt zusammen mit dem stellvertretenden Parteichef Ralf Stegner an. Michael Roth aus Hessen erklärte auf Nachfrage aus dem Publikum: „Der Paragraf 219a Strafgesetzbuch gehört abgeschafft. Und auch der Paragraf 218 gehört aus dem Strafgesetzbuch heraus.“
Der umstrittene Paragraf 219a regelt das Verbot der „Werbung“ für eine Abtreibung. Man brauche mehr Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Frauen, so Roth.
„Raus aus der GroKo!“, fordert Lauterbach
Professor Karl Lauterbach, Arzt und Gesundheitsexperte seiner Partei, und die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer warben mit der Bürgerversicherung („Die Zwei-Klassen-Medizin ist nicht akzeptabel!“) und einer Bundespflegekammer um Zustimmung der Genossen.
„Wir sind für die Bundespflegekammer, sonst droht eine systematische Benachteiligung der Pflege“, sagte Lauterbach. Während die Zahl der Ärzte in den vergangenen Jahren um 50.000 zugenommen habe, habe man 80.000 Pflegende verloren. „Das geht nicht an!“
Das Duo Lauterbach/Scheer war das Einzige, das sich explizit für das Ende der GroKo aussprach. „Die meisten Vorschläge, die hier auf der Bühne gemacht wurden, wären in einer großen Koalition nicht umsetzbar“, so Lauterbach. „Darum wollen wir die Partei fragen: rein oder raus?“