Dürfen Ärzte das Sterben eines Menschen aktiv "beschleunigen"?

Dürfen Ärzte das Sterben eines Menschen aktiv "beschleunigen"?

© epd

Am Beispiel der Diskussion über Sterbehilfe und Patientenautonomie zeigt sich, wie kontrovers der Kern des Konzepts von Menschenwürde interpretiert wird.

Von Thomas Trappe

Man kann den Veranstaltern ein glückliches Händchen bescheinigen: Vertreter der sich gegenüberstehenden Positionen waren versammelt, ohne dass darüber der Raum für die Abwägungen genommen wurde, den das Thema erfordert.

Die Podiumsdiskussion "Patientenautonomie - Bis in den Tod?" im Dresdner Schauspielhaus eröffnete den 8. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin in Dresden. Die Debatte war ein Spiegel des Spannungsfelds, in dem sich die Frage der Selbstbestimmung über den eigenen Tod bewegt. Darf ein Arzt beim Suizid helfen? Hat die Selbstbestimmung Grenzen?

Jochen Bohl, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen.

Jochen Bohl, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen.

© dpa

Jochen Bohl, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, machte deutlich, dass er für aktive Sterbebegleitung nach Schweizer Modell keine Rechtfertigung sieht. "Es gehört nicht zur Würde des Menschen, Leben zu beenden", sagte er. In Deutschland, zeigte sich der Theologe überzeugt, werde die "Selbstbestimmung oft sehr einseitig verstanden", schließlich gelte auch die Fürsorge als eine Pflicht. "Die niedrigste Anforderung an den Arzt ist: Sein Handeln darf nicht schaden." Würde der Gesetzgeber das Signal aussenden, "dass Ärzte auch den Tod bringen können", wäre das ein fatales Signal.

Nicht zufällig platzierten die Veranstalter neben dem Bischof Dr. Michael de Ridder, seine Meinung zur Sterbebegleitung hätte kaum gegensätzlicher sein können. Der Internist und Notfallmediziner des Berliner Klinikums am Urban präsentierte sich als strikter Befürworter der Selbstbestimmung über den eigenen Tod. "Der Kern der Menschenwürde ist die Selbstbestimmung", so de Ridder. Das schließe auch den Willen ein zu sterben - und dabei auf ärztliche Unterstützung zurückgreifen zu können.

Es sei ein "Irrtum", dass Ärzte nur einen Heilungsauftrag hätten. "Wenn eine Heilung unmöglich ist, dann gilt der palliative Auftrag", erklärte de Ridder. Dass Heilung und Sterbebegleitung medizinisch gleichwertig seien, "muss viel intensiver in die Köpfe der Ärzteschaft gebracht werden".

Im Publikum traf de Ridder mit seiner Forderung nach einem neuen Umgang mit der Sterbebegleitung einen Nerv, kaum ein anderer Podiumsteilnehmer erntete so viel Applaus. Besonders, als er ein Dilemma der Medizin ansprach, schien der Notfallmediziner weit verbreitete Sorgen aufzugreifen: "Das Leiden der Menschen, die gerne mit ärztlicher Hilfe sterben wollen, entsteht oft erst, weil die Medizin ihnen ein langes Leben ermöglicht." Ärzte stünden also auch hier in einer besonderen Verantwortung, der sie sich nicht entziehen dürften.

Dr. Michael de Ridder, Internist und Notfallmediziner in Berlin.

Dr. Michael de Ridder, Internist und Notfallmediziner in Berlin.

© Reiner Zensen / imago

Bis jetzt hingegen führen rund 100 Deutsche jährlich in die Schweiz, um den dort legalen "assistierten Suizid" zu begehen. Diese Zahl nannte der Schweizer Autor Nicola Bardola, der sich vehement für eine Gesetzesänderung zur Sterbebegleitung in Deutschland aussprach. Bardolas Eltern ließen sich vor zehn Jahren von einem Arzt in den Tod begleiten. Besonders ältere Menschen, so Bardolas Erfahrung, verstünden das Verbot der Sterbehilfe meist als Pflicht zum Leiden. Man sollte in Deutschland in dieser Frage aber "das Individuum in den Vordergrund stellen".

Unterstützt wurden die Befürworter der ärztlichen Sterbebegleitung von Jan Peter Beckmann, Professor für Philosophie an der Fernuniversität Hagen, der einräumte, dass seine Thesen zur Autonomie des Menschen nicht mit den kirchlichen Vorstellungen einhergehen. "Es gibt keine Pflicht des Patienten, schwer erträgliches Leid zu ertragen, und damit kein Recht des Arztes, den Patienten widerwillig am Leben zu halten", sagte er. Der Patient mache dabei einzig von einem Abwehrrecht Gebrauch. Einig war sich die Befürworter der Sterbehilfe, dass diese nur ärztliche Aufgabe sein kann, wenn der Heilungsauftrag nicht mehr umzusetzen ist.

Und dass die Debatte um Sterbebegleitung nicht mit jener um Palliativbetreuung vermengt werden dürfte. Palliativangebote sollten in jedem Fall in ganz Deutschland ausgebaut werden, forderte der Experte Professor Friedemann Nauck. Auch das sei ein Schritt hin zu mehr Patientenautonomie.

Lesen Sie auch: Patientenverfügungen - für Ärzte unerlässlich "Keine Patientenverfügung ohne Gespräch mit dem behandelnden Arzt!" Ein Register, das Willenserklärungen aufnimmt

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