"Keine Patientenverfügung ohne Gespräch mit dem behandelnden Arzt!"

Helfen, damit Ängste beim Erstellen von Patientenverfügungen abgebaut werden - das ist aus Sicht von Westfalen-Lippes Kammerchef Windhorst eine Kernaufgabe von Ärzten.

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Von Ilse Schlingensiepen

MÜNSTER. Nicht immer kann eine Patientenverfügung der konkreten Behandlungssituation gerecht werden: Die 58-jährige Patientin, die in die Klinik kam, litt an einem Lymphom und hatte stark vergrößerte Lymphknoten. In ihrer Patientenverfügung hatte sie festgelegt, dass sie keine intensivmedizinische Behandlung und keine Intubierung wünschte. Als die Frau nachts plötzlich starke Atemnot bekam, klärte der Arzt sie über die sofortigen Behandlungsmöglichkeiten und spätere Therapieoptionen auf.

Verfügung muss konkret gestaltet werden

Die Akutversorgung war erfolgreich, danach konnten die Klinikärzte mit der eigentlichen Therapie beginnen. "Das Lymphom war therapierbar, die Frau lebt immer noch", berichtet der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) Dr. Theodor Windhorst. Das Beispiel zeige, wie wichtig die möglichst konkrete Gestaltung der Verfügung ist.

Beim Umgang mit Patientenverfügungen gibt es auch ein Jahr nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes noch viele Unsicherheiten. Windhorst sieht einen großen Fehler im Gesetz: "Es sieht keine Beratung durch einen Arzt vor." Das Gespräch mit dem behandelnden Arzt sei aber für das Verfassen eines Dokuments von solcher Tragweite unbedingt notwendig. "Der Patienten muss eine Vorstellung davon bekommen, worauf er sich mit bestimmten Formulierungen einlässt", sagt er. Ärzte könnten über die medizinisch möglichen und indizierten Behandlungsmöglichkeiten ebenso informieren wie über die mit Prognosen verbundenen Unsicherheiten. Auch sei es oft hilfreich, wenn der Arzt eigene Erfahrungen in vergleichbaren Situationen schildert. "Man kann den Patienten klar machen, dass 50 Prozent der Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden, wieder gesund werden", betont Windhorst.

Es sei zwar bedauerlich, dass es für niedergelassene Ärzte keine Abrechnungsmöglichkeit für das Aufklärungsgespräch zur Patientenverfügung gebe. "Dennoch muss dieses Gespräch unbedingt geführt werden", sagt er. Er sieht es als wichtige Aufgabe der Ärzte, Ängste abzubauen und Lösungen aufzuzeigen. "Die moderne Medizin entwickelt sich manchmal zur Angst bringenden Chimäre. Das müssen wir ernst nehmen." In der Patientenverfügung sollen Aussagen zu möglichst konkreten Behandlungssituationen stehen, sagt ÄKWL-Justiziar Bertram Koch. "Solche Festlegungen kann man als medizinischer Laie gar nicht machen." Er hält es für sinnvoll, zusätzlich zur Verfügung persönliche Lebensanschauungen niederzulegen. "Die Patientenverfügung erfasst vielleicht nicht genau, um was es einem geht", sagt Koch.

Die ÄKWL hat einen Leitfaden "Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht" herausgegeben, mit dem sie Patienten, Angehörige und betreuende Ärzte unterstützen will. Die Broschüre liefert Hintergrundinformationen und bietet zu den verschiedenen Fragestellungen unterschiedliche Formulierungsvorschläge, zum Beispiel zu Wiederbelebungsmaßnahmen, Bluttransfusionen oder künstlicher Beatmung.

Der Leitfaden enthält Formulare zu Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung. Er empfehle jedem, neben der Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, sagt Windhorst. "Dann kann ich entscheiden, wer sich um mein Schicksal am Lebensende kümmert. Das ist besser als ein gesetzlich bestellter Betreuer." Im Leitfaden finden Interessierte auch eine Hinweiskarte fürs Portemonnaie, die im Bedarfsfall darüber informiert, dass eine Patientenverfügung vorliegt.

Bei der Bürgerinformation der ÄKWL und der KV Westfalen-Lippe rufen immer wieder Patienten mit Fragen zum Thema Patientenverfügung an, berichtet die Leiterin Dr. Marion Wüller. "Es melden sich auch immer wieder Angehörige." Ein typisches Beispiel: Ein Patient wird künstlich ernährt, die Angehörigen wissen aber, dass er das immer abgelehnt hat.

Gesetzgeber will Rechtssicherheit

Eine gewisse Art von Nachfragen, die zurzeit häufiger bei der Bürgerinformation eingehen, macht Wüller Sorgen. "Es rufen Angehörige an, die auf eine schnelle Umsetzung eines irgendwann geäußerten mündlichen Patientenwillens drängen", berichtet sie. Das sei nicht Ziel des Gesetzgebers gewesen, betont Windhorst. "Die Patientenverfügung ist keine Initiative, ein beschleunigtes Entsorgungsverfahren einzuführen, sondern der Versuch, Rechtsunsicherheiten zu beseitigen."

Leitfaden "Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht" zum Download (PDF)

Lesen Sie dazu auch: Patientenverfügungen - für Ärzte unerlässlich Ein Register, das Willenserklärungen aufnimmt

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