DGHO-Frühjahrssymposion

Das DRG-System vernachlässigt Qualität und Innovation

Das DRG-System hat aus der Sicht von Ärzten zu einer bedenklichen Dominanz betriebswirtschaftlicher Zielsetzungen – Erlösoptimierung und Rationalisierung – geführt. Folge: Die Grauzonen von Indikationsstellungen werden oft bis an die Grenze ausgenutzt.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Berlin. Seit der Einführung diagnoseabhängiger Fallpauschalen vor 18 Jahren sind die Krankenhäuser unter erheblichen wirtschaftlichen Druck geraten. Weil die Bepreisung der Leistungen nicht der tatsächlichen Kostenentwicklung folgt, müssen Erlöse durch mehr Menge und durch geschickte Kombination hoch bewerteter Leistungen – einen optimalen Case-Mix – gesteigert werden.

Damit, so beklagt der Onkologe Professor Hermann Einsele vom Universitätsklinikum Würzburg beim Frühjahrssymposion der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie, werde die „Grauzone der medizinischen Indikationsstellung zur Erfüllung ökonomischer Ziele voll ausgenutzt“.

Einsele gesteht zu, dass die mit dem DRG-System einhergehende Ökonomisierung auch positive Effekte gehabt hat: zum Teil zunehmende Patientenorientierung, wachsende Anwendung von Leitlinien, Überprüfung von Routinen und damit einhergehend auch Modernisierung und Rationalisierung.

Nach seiner Einschätzung überwiegen allerdings die Negativeffekte, nicht nur zu Lasten des Personals, sondern durchaus auch auf Kosten von Patienten:

  • Produktivitäts- und Rationalisierungsdruck führe zu medizinisch nicht indizierten Mengenausweitungen bei bestimmten hoch vergüteten Leistungen wie Koronarinterventionen oder Prothesenimplantationen;
  • Sprechende Medizin wird zugunsten von Technik vernachlässigt;
  • Der Anreiz zu möglichst kurzer Verweildauer führt zu Stress beim Personal, zu Fallsplitting und baldiger Wiederaufnahme von Patienten.

Entgegen den Erwartungen habe das DRG-System nicht zu einem nennenswerten Ausscheiden wenig leistungsfähiger Krankenhäuser geführt. Ein Teil befinde sich in einem Restrukturierungsprozess, bei dem auch das Management unter Druck stehe: 50 Prozent der kaufmännischen Geschäftsführer seien in den letzten drei Jahren ausgewechselt worden.

Die Risiken des DRG-Systems, so Dr. Martin Siess, Vorstand Krankenversorgung der Universitätsmedizin Göttingen, sind auch in der Onkologie sichtbar. Zwar seien onkologische Leistungen mit hoher Fallschwere eine wichtige Erlösquelle für Krankenhäuser, aber das Vergütungssystem weist erhebliche Schwächen auf. Nur 50 Prozent der Krebspatienten erhalten eine Erstversorgung in ausgewiesenen onkologischen Strukturen.

Ergebnisqualität habe immer noch zu geringe Steuerungswirkung. Innovative Therapien und deren Sachkosten seien in DRGs nicht kostendeckend abgebildet. Die aus qualitativen Gründen versorgungspolitisch erwünschte Zentrenbildung werde nicht ausreichend gegenfinanziert. Abteilungsbudgets und abteilungsspezifische Zielsetzungen führten zu Partialoptimierungen, behinderten aber gerade die in der Onkologie bedeutende interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Vergütungen müssen viel konsequenter an Qualität und Strukturvorgaben des Bundesausschusses geknüpft werden.

Dr. Martin Siess, Vorstand Krankenversorgung der Universitätsmedizin Göttingen

Gleichwohl sieht Siess Chancen für eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen. Grundlage dafür könnten die Initiativen der DGHO, der Krebsgesellschaft und Krebshilfe sowie des nationalen Krebsplans sein. Konsequenter als bisher müssten qualitativ-strukturelle Vorgaben des Gemeinsamen Bundesauschusses, etwa bei der Versorgung in Zentren und deren spezifische Leistungen, mit adäquaten Vergütungen gekoppelt werden. Gleiches müsse für die Finanzierung von Innovationen in dafür geeigneten Zentren sichergestellt werden.

Die höchste Last des Fallpauschalensystems hatten allerdings nicht die Ärzte, sondern das Pflegepersonal zu tragen: Für das auf Leistungsmenge und medizinische Interventionen ausgerichtete Vergütungssystem waren Ärzte für Kliniken von strategischer Bedeutung – ihre Zahl stieg beträchtlich. 2015 versorgte ein Arzt 18 Prozent weniger Patienten. Dagegen versorgt jede Pflegekraft zwölf Prozent mehr Patienten mit der Folge wachsender Unzufriedenheit und Suche nach beruflichen Alternativen.

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