Das medizinisch Machbare wächst - eine Verteilungsdebatte ist überfällig

Eine Rangliste für medizinische Leistungen ist unvermeidbar, glauben Experten. Strittig ist, ob es eine Fortschrittsfalle in der modernen Medizin gibt.

Von Petra Spielberg Veröffentlicht:

DÜSSELDORF. An einer öffentlichen Debatte über die Priorisierung medizinischer Leistungen führt kein Weg vorbei. Darin sind sich der Gesundheitsökonom Professor Walter Krämer, der Medizinethiker und Transplantationschirurg Professor Eckhard Nagel sowie der Arzt und Philosoph Professor Klaus Bergdolt einig.

Die Entscheidung darüber, wie sich medizinische Leistungen gerecht verteilen lassen, sollte jedoch nicht den behandelnden Ärzten aufgebürdet werden, sondern von der Politik unter Einbeziehung der Gesellschaft gelöst werden, so das Fazit einer Diskussion an der Akademie der Wissenschaften und Künste Nordrhein-Westfalen.

Die moderne Medizin sei aufgrund einer stetigen Effizienz- und Leistungssteigerung in eine Fortschrittsfalle getappt, die zu einer Rationierung von Gesundheitsgütern führe, sagte Krämer, der an der Technischen Universität Dortmund lehrt. Es gelte jedoch, diese Leistungseinschränkungen sozialverträglich zu gestalten. "Die Politik ist gefordert, verbindliche Aussagen zur Entwicklung des Gesundheitssystems zu treffen", so der Gesundheitsökonom.

Krämer bezeichnete es als Irrweg zu glauben, dass mehr Prävention ein Ausweg aus der Fortschrittsfalle sein könne. Unter Kostenaspekten sei Prävention in der Regel ein Verlustgeschäft. "Ob nämlich eine erfolgreiche Prävention einer bestimmten Krankheit das Gesundheitsbudget als ganzes entlastet oder nicht, hängt entscheidend davon ab, was billiger ist: die verhinderte Krankheit oder die, die man stattdessen kriegt", sagte Krämer.

Der Transplantationsmediziner Nagel, der Mitglied des Deutschen Ethikrats ist, warf Krämer vor, auf Basis falscher Annahmen ethisch problematische Aussagen zu treffen, die einen Teil der Patienten ausgrenzten.

Zwar stelle sich auch in der Transplantationsmedizin die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit. Ursache für die Differenz zwischen Angebot und Bedarf sei jedoch nicht der Fortschritt, sondern die Organknappheit. "Täglich sterben in Deutschland drei und in der EU zehn Patienten auf der Warteliste, weil für sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan zur Verfügung stand", so Nagel.

Er geht davon aus, dass sich das Problem durch den demographischen Wandel verschärfen wird. Eine Priorisierung transplantationsmedizinischer Leistungen sei unabdingbar, betonte Nagel. Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit könne nur von der Politik auf der Grundlage eines Diskurses unter Einbeziehung von Ärzten entschieden werden.

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