Mehr Einsatz der EU gefordert

Diabetes – die stille Pandemie

Etwa 33 Millionen EU-Bürger haben Diabetes, und rund 60 Millionen gelten als Prädiabetiker. Die Europäische Union muss mehr in der Diabetes-Prävention tun, fordern Experten. Gesundheit müsse zentrales Politik-Thema werden – auch außerhalb von Corona.

Von Detlef Drewes Veröffentlicht:
Die große Diabetes-Welle kommt noch: Rund 60 Millionen EU-Bürger gelten als Prädiabetiker.

Die große Diabetes-Welle kommt noch: Rund 60 Millionen EU-Bürger gelten als Prädiabetiker.

© Philip / stock.adobe.com

Brüssel. Alle reden von COVID-19. Aber was ist mit Diabetes, der „stillen Pandemie“? Rund 33 Millionen EU-Bürger sind derzeit von einem Typ 1 oder Typ 2 Diabetes betroffen. Einer Schätzung der Internationalen Diabetes Federation (IDF) zufolge wird die Zahl bis 2030 auf über 38 Millionen steigen. Rund 60 Millionen gelten als Prädiabetiker.

„Jeder Einzelne von ihnen braucht unsere Unterstützung. Denn wir müssen den Patienten spüren lassen, dass wir uns um ihn kümmern und nicht nur eine Krankheit vor uns haben“, sagte Casja Lindberg, Europa-Beauftragte der IDF, am Freitag bei einer Online-Diskussion des Europäischen Verbandes der pharmazeutischen Industrie und Verbände (efpia).

Förderalismus macht EU-weites Vorgehen schwer

Doch der Zugang zur Versorgung sei eben nicht einfach, weil in vielen Bereichen der Bevölkerung zu wenig Bewusstsein für die Krankheit oder Angst vor den grundlegenden Veränderungen des gesamten Lebensalltags zu beobachten seien.

Die Forderung nach mehr Öffentlichkeit, nach Beispielen prominenter Zeitgenossen, die sich zu ihrer Diabetikes-Erkrankung bekennen sowie mehr Mitverantwortung der Patienten für die politischen Programme war ein Ergebnis des Treffens.

Die Möglichkeiten der Europäischen Union, so Stefan Schreck, Verantwortlicher für Gesundheitsprogramme in der EU-Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, seien allerdings begrenzt. Schließlich gehöre dieses Thema in die Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten. Diese bisher gängige Argumentation müsse man überwinden. „Das Coronavirus hat dazu beigetragen, dass die Gesundheit als zentrales Thema bewusst geworden ist.“

John Bowis, langjähriges Mitglied des britischen und des Europäischen Parlamentes, machte klar, dass die EU durchaus sogar eine „fundamentale Zuständigkeit“ habe, weil es keine ökonomische Entwicklung ohne Gesundheit gebe. „Das gehört doch alles eng zusammen.“

Schon Kinder für die Erkrankung sensibilisieren

Die finnische EU-Abgeordnete Sirpa Pietikäinen forderte vor diesem Hintergrund mehr Einsatz der Gemeinschaft für den Kampf gegen Diabetes, beispielsweise durch europaweite Kampagnen. Auf diese Weise sollten schon Kinder an die Risiken herangeführt werden, die später zum Ausbruch der Krankheit führen könnten.

Die Hoffnungen der Teilnehmer in Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sind groß. Beeindruckt hat alle ihre Aufforderung an das Europäische Parlament, für eine bessere Mittelausstattung des neuen Gesundheitsprogramms EU4Health zu kämpfen. Die Staats- und Regierungschefs der Union hatten dieses Programm trotz der Coronavirus-Pandemie drastisch zusammengestrichen.

Außerdem hatten sie beim neuen Forschungsrahmenprogramm HorizonEurope (Nachfolger von Horizon2020) den Rotstift angesetzt. Schreck: „Gesundheit muss als zentrale politische Aufgabe verstanden werden.“

Ab 2021 mehr Engagement in Forschung und Prävention

Die Teilnehmer waren sich einig, dass eine Schlüsselrolle dem gemeinsamen Erfahrungsaustausch zukomme. Die EU-Kommission hat gerade eine neue Online-Plattform gestartet, auf der „Best-Practice-Modelle“ aus allen Mitgliedstaaten vorgestellt und Erfahrungen geteilt werden können.

Schreck: „Dafür brauchen wir jetzt aber auch solche Best-Practice-Beispiele. Die EU ist ein riesiges Laboratorium, wo man Erfahrungen weitergegeben darf.“

Tatsächlich gehören Forschung, Behandlung und Begleitung von Diabetes-Betroffenen seit langem zu einem der Schwerpunkte der Union. Im Europawahlkampf 2019 zitierte die Europäische Kommission unter den vielen hundert Beispielen unter der Rubrik „Was tut die EU für mich?“ ausdrücklich ihre Initiativen für Forschung und Prävention in diesem Bereich. Das soll ab 2021 noch verstärkt fortgesetzt werden.

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