Praxis-erprobt

Die Hausarztmedizin braucht mehr Forschung

Es gibt viele Studien, die für die hausärztliche Praxis irrelevant sind. Das liegt unter anderem daran, dass die Studienpatienten oft hoch selektiert sind. Was wäre zu tun?

Von Johanna Mathauer Veröffentlicht:
Forschung in Hausarztpraxen ist essenziell.

Forschung in Hausarztpraxen ist essenziell.

© rogerphoto / stock.adobe.com

INNSBRUCK. Ein Tag in der hausärztlichen Praxis besteht aus der Beratung und Behandlung verschiedenster Patienten – von akut und chronisch erkrankten Menschen über geriatrische Patienten bis zu Patienten mit psychischen Beschwerdebildern. Hausärzte gehen natürlich auch auf Hausbesuche und machen Notdienste.

Doch woher kommen die Grundlagen für diese umfassende allgemeinmedizinische Tätigkeit? Mit Antworten auf diese Fragen beschäftigte sich Professor Michael M. Kochen, Ehrenpräsident der DEGAM, beim 52. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin in Innsbruck.

Meist, so Kochen, stehen bei Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie persönliche Erfahrung, Intuition und gesunder Hausarztverstand an oberster Stelle – solide wissenschaftliche Erkenntnisse allerdings nicht immer.

Und das habe einen Grund: "Viele Fragen aus der Hausarztpraxis sind bislang unbeantwortet, weil sie noch nie wissenschaftlich untersucht worden sind."

Publizierte wissenschaftliche Untersuchungen seien zum Teil irrelevant, weil die Patienten oft hoch selektiert sind. Es gebe noch viele andere Gründe, "warum wir Forschungsergebnisse nicht eins zu eins auf die hausärztliche Praxis übertragen können", erklärte Kochen.

Forschung ist nicht gleich Forschung

Hausärztliche Forschung definiert sich als angewandte Forschung genau dort, wo Hausärzte arbeiten, zur Lösung von Problemen der Primärversorgung. "Eine solche Forschung bearbeitet zwar spezifische Probleme, verfügt aber über keine eigenen Methoden.

Die angewandten Methoden sind überwiegend die der empirischen Sozialforschung, der Epidemiologie und der Biometrie", so Kochen.

Der größte Unterschied zwischen Hausarztpraxis und Klinik – dem Ort, wo die meiste Forschung stattfindet – ist die Patientenselektion, die in der Hausarztpraxis sehr niedrig, in der Klinik allerdings sehr hoch ist.

Aus diesem Grund können klinische Forschungsergebnisse nicht direkt in der allgemeinmedizinischen Praxis umgesetzt werden.

Was wurde nun bisher von Hausärzten erforscht? Viele Dinge, die tagtäglich in der Praxis umgesetzt werden, fußen auf hausärztlichen Studien. Kochen nannte mehrere Beispiele für Ergebnisse typischer hausärztlicher Forschungsarbeiten:

Wirksamkeit von Nikotinpflastern bei der Raucherentwöhnung, zurückhaltende Verordnung von Antibiotika bei Otitis media, keine Bildgebung bei unkomplizierten Kreuzschmerzen oder auch Betreuungskontinuität senkt Sterblichkeit.

Erst kürzlich habe eine Studie zur Trimethoprimresistenz von E. coli bei ambulanten Patientinnen mit unkompliziertem Harnwegsinfekt gezeigt, wie unterschiedlich die Ergebnisse in Praxis und Klinik ausfallen.

Statt des Resistenz-Wertes von 25 Prozent, der bei einem Großteil der Studien mit Urinproben aus dem klinischen Umfeld ermittelt wurde, betrug der Wert bei explizit hausärztlich erhobenen Urinproben nur 13 bis 15 Prozent.

Eine groß angelegte Meta-Studie untersuchte das Screening auf Vorhofflimmern. Die Prävalenz bei Patienten über 65 Jahren lag bei zwei Prozent, die Spezifität des Screenings bei 90 Prozent.

Das bedeute aber auch 10 Prozent falsch positive Ergebnisse, also fünf Mal mehr falsch positive Ergebnisse als neue Diagnosen. Zudem ist erwiesen, dass orale Antikoagulation eine Risikoreduktion für klinisch diagnostizierte Patienten mit Vorhofflimmern bringt.

Aber gilt das auch für durch Screening entdeckte, asymptomatische Patienten? Zum jetzigen Zeitpunkt ist daher nach Kochens Meinung ein Screeningverfahren für Vorhofflimmern nicht gerechtfertigt.

Gegen Stochern im Dunkeln

Auch mit dem Effekt von ASS zur kardiovaskulären Primärprävention habe sich eine kürzlich durchgeführte Studie beschäftigt. Bei einem Körpergewicht über 70 Kilogramm zeigte demnach die tägliche Dosis von 100mg ASS pro Tag keine Wirkung.

Diese Dosis war nur bei einem Körpergewicht von 50 bis 70 Kilogramm wirksam. Bei einem höheren Körpergewicht seien dagegen vermutlich höhere Dosen über 300mg/d nötig, um eine präventive Wirkung beobachten zu können. Viele Studien zur Primärprävention, die eine Unwirksamkeit aufgrund zu niedriger Dosierung als Ergebnis hatten, würden nun nachuntersucht.

Die weiterführende Forschung zu all diesen Studien sollte auch weiterhin in hausärztlichen Praxen stattfinden, da genau hier die Ergebnisse umgesetzt werden.

"Persönliche Erfahrungen sind zweifellos wichtig, aber für beliebiges Handeln wird es künftig kein Geld mehr geben. Das müssen wir alle verinnerlichen. Politik, Öffentlichkeit und unsere Patienten erwarten für die Honorierung ärztlichen Handelns auch wissenschaftliche Grundlagen", warnte Kochen.

ein Resümee: "Wenn wir unsere Fragen nicht durch eigene Forschung beantworten, drohen Vorschriften aufgrund gebietsfremder Ergebnisse. Mangelnde Forschung in unseren Praxen lässt uns im Dunkeln stochern und kann unseren Patienten sogar schaden, mindert langfristig das Vertrauen in unsere Kompetenz und gefährdet damit die Hausärzteschaft insgesamt."

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