Kein Projekt der Koalition ist so umstritten wie die Gesundheitsprämie. Doch was die Opposition und eine Mehrheit der Bürger als ungerecht empfinden, ist ein Treibsatz für den Preiswettbewerb der Krankenkassen. Spätestens 2012 wird diese Konkurrenz wirksam.

Von Helmut Laschet

Monatelang lagen sich Philipp Rösler und seine Berliner Kollegen mit der CSU in den Haaren. Dabei war der Koalitionsvertrag, den CSU-Chef Horst Seehofer mitunterzeichnet hatte eindeutig: Vom Auftrag an Rösler, ein Konzept für einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag mit Sozialausgleich zu finden, wollte Seehofer nichts mehr wissen. Jeder Plan aus Berlin wurde als unsozial oder als bürokratisches Monster verrissen.

Doch Seehofer zog den kürzeren. Im Juli präsentierte Rösler ein Modell, das nun als Kernstück Eingang gefunden hat in das GKV-Finanzreformgesetz (GKVFinG).

Um den Einstieg in den einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag möglichst moderat zu gestalten, wird der allgemeine Beitragssatz 2011 um 0,6 Punkte auf 15,5 Prozent erhöht, der Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 Prozent gedeckelt. Damit wird die Mitte 2009 aus konjunkturpolitischen Erwägungen beschlossene Beitragssenkung wieder rückgängig gemacht.

Sozialausgleich mit Wettbewerbs-Hebel

Kommt jedoch eine einzelne Kasse nicht mit ihren Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds aus, dann muss sie bei ihren Mitgliedern den einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag erheben.

Das Kernstück der Konstruktion ist allerdings der Sozialausgleich, der mit einem wettbewerblichen Hebeleffekt ausgestattet ist. Grundsätzlich gilt: Zumutbar ist eine Belastung durch den Zusatzbeitrag in Höhe von zwei Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen (Arbeitseinkommen, Rente, Lohnersatzleistungen, nicht jedoch andere Einkünfte).

Eine Mehrheit der Bürger lehnt den Zusatzbeitrag ab

Aber: Welcher Betrag sozial ausgeglichen wird, hängt nicht allein vom individuellen Zusatzbeitrag einer bestimmten Krankenkasse ab, sondern vom prospektiv vom Bundesversicherungsamt festgelegten durchschnittlichen Zusatzbeitrag aller Krankenkassen. Den hat das BVA für 2011 auf Null festgesetzt, weil für Kassen zusammen die Einnahmen aus dem Fonds gedeckt werden können. Die Folge: 2011 gibt es keinen Sozialausgleich. Denn es gibt genügend Kassen ohne Zusatzbeitrag - und jedes Kassenmitglied, dem ein Zusatzbeitrag abgefordert wird, kann in eine günstigere Kasse wechseln.

Diese Konstruktion führt dazu, dass überdurchschnittlich hohe Zusatzbeiträge nicht via Sozialausgleich in den Portemonnaies der Beitragszahler egalisiert werden. Überdurchschnittlich teure Kassen kosten die Versicherten spürbar viel Geld, umgekehrt profitieren Mitglieder preiswerterer Kassen vom Sozialausgleich (siehe nebenstehende Fallbeispiele).

82 Prozent der Bürger finden das Modell nach einer Allensbach-Umfrage für den MLP-Gesundheitsreport ungerecht. Darunter viele, die offenbar die Konstruktion nicht verstanden haben. Darüber aufgeklärt, sank die Ablehnerquote auf 59 Prozent - immer noch eine Mehrheit.

Fall 1: Kein Solidarausgleich

Aufgrund der Beitragssatzanhebung von 14,9 auf 15,5 Prozent für alle Kassen und durch Kostendämpfung hat das Bundesversicherungsamt festgestellt, dass die gesetzliche Krankenversicherung 2011 zu 100 Prozent aus dem Gesundheitsfonds finanziert werden kann. Der durchschnittliche prospektive Zusatzbeitrag liegt bei Null. Folglich findet kein Solidarausgleich statt. Gleichwohl kann es einzelne Kassen geben, die einen Zusatzbeitrag erheben müssen, um Defizite zu vermeiden. Versicherte können, um den Beitrag zu vermeiden, in eine andere Kasse ohne Zusatzbeitrag wechseln. Daher gibt es keinen Solidarausgleich.

Fall 2: Die GKV vor dem Defizit

Das BVA prognostiziert für das Folgejahr ein Defizit von zwölf Milliarden Euro. Das lässt sich nur durch einen Zusatzbeitrag von 19,52 Euro im Monat ausgleichen. Das betrachtete GKV-Mitglied ist in einer Durchschnittskasse versichert, die einen Zusatzbeitrag von 19,52 Euro erhebt. Das Einkommen des Mitglieds möge 800 Euro betragen. Zwei Prozent des Einkommens (Basis ist nur das Arbeitseinkommen oder Lohnersatz wie Rente) sind zumutbar; das sind 16 Euro. Der Solidarausgleich beträgt 3,52 Euro pro Monat. Dies wird über den Arbeitgeber abgerechnet, der den prozentualen Beitrag um 3,52 Euro kürzt.

Fall 3: zu Teuer Versichert

Das BVA hat prospektiv einen Zusatzbeitrag von monatlich 19,52 Euro festgelegt. Ein GKV-Mitglied ist allerdings in einer Kasse mit ungünstigen Risiken versichert. Deshalb erhebt die Kasse einen Zusatzbeitrag von 40 Euro im Monat. Das Mitglied verdient 800 Euro monatlich. Der Zusatzbeitrag überschreitet mit fünf Prozent deutlich die Zumutbarkeitsgrenze von zwei Prozent. Aber im Solidarausgleich wird maximal die Differenz zwischen zumutbarem Beitrag (16 Euro) und dem Durchschnittsbeitrag von 19,52 Euro berücksichtigt. Das sind 3,52 Euro. 36,48 Euro muss der Versicherte selbst zahlen, weil es billigere Kassen gibt.

Fall 4: Günstig versichert

Das BVA hat den durchschnittlichen Zusatzbeitrag auf 22,00 Euro festgesetzt. Das GKV-Mitglied ist bei einer relativ günstigen Kasse versichert, die nur einen Zusatzbeitrag von 18 Euro erhebt. Das Monatseinkommen des Mitglieds betrage 800 Euro. Bei Berücksichtigung der Zwei-Prozent-Grenze sind 16 Euro als Zusatzbeitrag zumutbar. In diesem Fall beträgt der Solidarausgleich allerdings nicht nur zwei Euro - also die Differenz zwischen zumutbarer Belastung und individuellem Beitrag -, sondern sechs Euro. Das ist die Differenz zwischen zumutbarem Beitrag (16 Euro) und dem durchschnittlichen Zusatzbeitrag.

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