Bedarfsplanung

Die Reform ist nicht genug

Die Bedarfsplanung kommt in die Regionen. Wirklich gut ist damit aber noch lange nicht alles, sagen Ärzte und Landespolitiker. Ihre Forderung: Mehr Spielräume und vernünftige Honorare.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
"Hartz-Nasen-Ohrenärzte" in Nordrhein machen auf ihre Honorarsituation aufmerksam.

"Hartz-Nasen-Ohrenärzte" in Nordrhein machen auf ihre Honorarsituation aufmerksam.

© Ilse Schlingensiepen

DÜSSELDORF. Bei der Bedarfsplanung können sich Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und Regionalpolitiker künftig nicht mehr mit Verweis auf die Bundesebene aus der Verantwortung stehlen.

Sie haben jetzt mehr Spielräume und müssen sich nicht sklavisch an die Vorgaben der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie halten. "Im Prinzip können sie von allem abweichen", sagte Dr. Bernhard Gibis, Leiter des Referats Bedarfsplanung bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, bei einer Cognomed-Fortbildungsveranstaltung in Kooperation mit der KV Nordrhein (KVNo) in Düsseldorf.

Gibis: "Die neue Bedarfsplanung heißt vor allem: Regionalisierung und Adaptierung vor Ort."

Das Sozialgesetzbuch V mache keine Einschränkungen, in welchen Bereichen die regionale Bedarfsplanung die Bundesvorgaben verlassen könne. "Aber die Abweichungen müssen gerichtsfest begründet werden", betonte Gibis.

Erstmals könnten sich die Bundesländer direkt daran beteiligen, die Bundesvorgaben an den regionalen Bedarf anzupassen, und zwar sowohl durch die Mitarbeit in den zuständigen Gremien als auch durch ihre Aufsichtsfunktion, sagte er.

Der nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) gehen die neuen Handlungsspielräume nicht weit genug. "Was wir jetzt als Länder dürfen, ist mehr, aber nicht das, was wir bräuchten, um das Haus neu aufzustellen."

Nach ihrer Einschätzung sind Veränderungen notwendig, um dem Versorgungsbedarf der Patienten auch in Zukunft gerecht zu werden. "Wir werden mit den heutigen Strukturen die Versorgung in 20, 30 und 40 Jahren nicht mehr sicherstellen können", sagte Steffens.

Der Kraftakt werde sich aber nur im Konsens möglichst aller Beteiligten bewältigen lassen. Jetzt räche sich, dass das Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren von einem Klima des gegenseitigen Misstrauens und des Neids geprägt gewesen sei.

Bedarfsplanung nur ein Baustein

Auch der KVNo-Vorsitzende Dr. Peter Potthoff hält die Kooperation der verschiedenen Akteure für zentral. Die neue Bedarfsplanungsrichtlinie sei zwar eine nötige, aber keine hinreichende Bedingung für eine gute flächendeckende Versorgung der Zukunft, sagte er.

Die Zusammenarbeit der Ärzte untereinander und mit anderen Heil- und Gesundheitsberufen sieht er als Strategie, mit dem Ärztemangel umzugehen. "Die Entwicklung der nächsten 20 Jahre stellt daher besondere Herausforderungen an die Kooperationsfähigkeit der Akteure im Gesundheitswesen - die Kassenärztliche Vereinigung eingeschlossen."

Von den Kommunen sollten Ärzte und Krankenkassen nicht zu viel erwarten. Ihnen seien oft die Hände gebunden, sagte Peter-Olaf Hoffmann, Bürgermeister im rheinischen Dormagen. Die Rolle der Kommunen sieht er vor allem bei der Beratung und der Hilfestellung.

Dennoch bleiben viele niedergelassene Ärzte in Nordrhein skeptisch. Solange sich am Grundübel des zu geringen Honorars für viele Fachgruppen nichts ändert, nützt auch die schönste Bedarfsplanungsrichtlinie nichts, finden sie.

Der neue rechtliche Rahmen reiche nicht aus, sagte KVNo-Chef Potthoff. "Wir brauchen zusätzlich ein modernes Anreizsystem, um die richtigen Arztgruppen an die richtigen Orte zu locken."

Auch Matthias Mohrmann, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg, sieht die neue Bedarfsplanung nur als einen Baustein, um die Herausforderungen einer langfristigen Sicherstellung der Versorgung zu bewältigen zu können.

"Entscheidend ist, dass sich Ärzte dort niederlassen, wo sie tatsächlich gebraucht werden, was vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen der Fall ist."

Neben finanziellen Anreizen sei dafür gezielte Werbung für die Niederlassung in solchen Regionen, die Unterstützung der Ärzte bei der Praxisgründung, die Nutzung neuer Versorgungsformen oder besondere Angebote der Kommunen nötig.

Manches wäre einfacher, wenn sich mehr Ärzte in der Politik engagieren würden, glaubt der Hausarzt Norbert Koch aus dem niederrheinischen Alpen.

Warnung vor dem Austrocknen der HNO

Die Ärzte sollten sich bei Versorgungsfragen direkt mit Politikern, KVen und Krankenkassen auseinandersetzen. "Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, direkt zu den Kassenbossen zu gehen", berichtete er.

Politik und Kassen sollten sich nicht nur Gedanken darüber machen, was sie künftigen Ärztegenerationen Gutes tun können, forderte Koch. "Die, die da sind, sollten endlich auch einmal getätschelt und nicht nur geprügelt werden."

Damit sprach er vielen Ärzten im Publikum aus dem Herzen. Die Veranstaltung war sehr gut besucht - nicht zuletzt, weil fast 300 Hals-Nasen-Ohrenärzte nach Düsseldorf gekommen waren, um auf die schlechte Honorarsituation der Fachgruppe in Nordrhein aufmerksam zu machen.

"Für sieben Euro im Monat ist ärztliches Tun überhaupt nicht möglich", sagte HNO-Arzt Dr. Thomas Wacker aus Mönchengladbach.

Daran ändere auch eine neue Bedarfsplanung nichts. Wacker zeichnete ein drastisches Bild der künftigen HNO-Versorgung unter unveränderten finanziellen Bedingungen. "Dann bekommen wir eine medizinische Sahel-Zone in Nordrhein."

Auch der Präsident des Berufsverbandes der HNO-Ärzte Dr. Dirk Heinrich, der zur Unterstützung seiner Kollegen aus Hamburg angereist war, warnte vor einem Austrocknen des Fachgebietes.

"Wenn Sie so weitermachen, werden Sie in Nordrhein keine HNO-Versorgung auf europäischem Niveau mehr haben", sagte Heinrich an die Adresse von KV und Kassen.

Bei der Diskussion dürfe ein Aspekt nicht vergessen werden, betonte der Nervenarzt Dr. Frank Bergmann.

Eine Finanzierung zusätzlicher Arztsitze aus der gedeckelten Gesamtvergütung ginge zu Lasten der Regelleistungsvolumina. "Dann können in Nordrhein viele Fachgruppen das Licht ausmachen."

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