Interview

"Dieser problematische Off-label-use hat keine Zukunft"

OLG-Richter haben einer Apotheke das Auseinzeln des Medikaments Lucentis® verboten. Der Medizinrechtler Professor Dr. Christian Dierks erläutert die Folgen für Ärzte.

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Professor Dr. Christian Dierks

Professor Dr. Christian Dierks

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Ärzte Zeitung: Das Hanseatische Oberlandesgericht hat einer Apotheke untersagt, das Medikament Lucentis® weiter auszueinzeln. Hat das Urteil auch Konsequenzen für Ärzte?

Dr. Christian Dierks: Die Therapiefreiheit des Arztes wird durch das Urteil nicht berührt. Sie war auch gar nicht Gegenstand des Verfahrens. In dem Verfahren ging es um eine Apotheke, die aus einer Durchstechflasche des europaweit zentral zugelassenen Arzneimittels Lucentis® Fertigspritzen herstellte.

Das Besondere: Die Spritzen wurden im Voraus für eine größere Zahl von Patienten hergestellt. Hier hat das Gericht nun entschieden, dass dieser Vorgang der Zulassungspflicht unterliegt. Geklagt hatte der Hersteller Novartis, Beklagter war die Apotheke.

Ärzte Zeitung: Es gibt einen ähnlich gelagerten Fall, in dem das OLG München zu einer ganz anderen Auffassung gelangt ist. Danach war das Auseinzeln von Fertigspritzen durch einen Apotheker nicht zulassungspflichtig. Wie hat das Hanseatische Oberlandesgerichts seine Entscheidung begründet?

Berg-Apotheke gibt auf

Die BergApotheke Tecklenburg akzeptiert das Urteil des OLG Hamburg, mit dem die Auseinzelung von Lucentis® verboten worden ist. Jenseits des Streits um die Auseinzelung treibt Ärzte die Frage um, wie sie bei seltenen Erkrankungen vorgehen sollen, bei denen weder Lucentis® noch Avastin® zugelassen sind, es aber keine andere zugelassene Therapie gibt. Für diese Nischenindikationen will Novartis ein Studienprogramm starten, berichtet Novartis-Forschungschef Professor Lothar Färber der "Ärzte Zeitung". Dieses Programm betrifft beispielsweise Säuglinge oder Kinder mit Frühgeborenen-Retinopathie oder makulärer Teleangiektasie. Geplant sind ferner Studien mit Patienten, die an einer proliferativen Augenerkrankung leiden, die durch den Wachstumsfaktor VEGF ausgelöst werden. Laut Färber sollen dabei Daten zur Wirksamkeit und zur Sicherheit von Ranibizumab erhoben werden. (eb)

Dierks: Man kann es schon bahnbrechend nennen, dass ein deutsches Zivilgericht in dieser Sache konsequent europäisches Recht anwendet.

Das Gericht hat aus dem Europäischen Arzneimittelrecht hergeleitet, dass die Apotheke, wenn sie diese Fertigspritzen aus dem europaweit zentral zugelassenen Originalarzneimittel herstellt und in Verkehr bringt, ebenfalls eine Zulassung der European Medicines Agency in London benötigt. Und das hat grundsätzliche Bedeutung.

Andere Apotheken, die industriell ausgeeinzelte Fertigspritzen anbieten oder anbieten werden, setzen sich ebenfalls einem Rechtsstreit aus. Ob sie dieses Risiko - aufgrund des eindeutigen Verweises auf das Europarecht - eingehen wollen, muss man abwarten.

Ärzte Zeitung: Hat das Urteil Konsequenzen für alle Formen von Rezepturen?

Dierks: Nein, bei Rezepturen mit nicht zentral zugelassenen Arzneimitteln, zum Beispiel vielen Zytostatika, kann die Herstellung in der Apotheke ohne eine Zulassung erfolgen. Die wesentlichen Kriterien für die Entscheidung des OLG Hamburg sind das im Voraus erfolgende Herstellen für zum Zeitpunkt der Herstellung noch nicht bekannte Patienten und das Auseinzeln entgegen der Fachinformation.

Ärzte Zeitung: Neben der Auseinzelung von Lucentis® ist auch der Off-label-use des Krebsmittels Avastin® in der Augenheilkunde weit verbreitet. Lässt sich der Tenor des Urteils auch auf Avastin® anwenden?

Dierks: Ich denke, ja. Das Gericht würde die Herstellung von Fertigspritzen mit Avastin® für die Augenheilkunde ebenfalls als rechtswidrig einstufen, da gibt es im Hinblick auf die angewandten Normen und die Fachinformation keine Unterschiede zu Lucentis.

Es bleibt also auf absehbare Zeit nur die Möglichkeit, dass Ärzte in der Praxis den Off-label-use praktisch selbst umsetzen oder verordnen. Und das ist aus haftungsrechtlicher Sicht nur empfehlenswert, wenn man nachweisen kann, dass sich dieses Vorgehen - abweichend von der Zulassung - als Standard etabliert hat. Und genau an dem Punkt habe ich Zweifel.

 Aus sozialrechtlicher Sicht müsste für eine Erstattung der Nachweis vorliegen, dass keine therapeutische Alternative existiert. Aber genau dies ist nicht der Fall, denn Lucentis® ist für diese Indikation zugelassen - auch wenn es teurer ist als Avastin® und die EBM-Ziffer für die Intravitreale Therapie noch fehlt.

Alle mir bekannten Gerichtsverfahren haben bestätigt, dass der Patient einen Anspruch auf die Behandlung mit Lucentis® hat. Und damit sehe ich diesen sehr problematischen Off-label-use nicht als besonders zukunftsträchtig an.

Ärzte Zeitung: Das Gericht hat die Revision zugelassen. Wie geht es weiter?

Dierks: Würde die unterlegene Apotheke in Revision gehen, müsste der Bundesgerichtshof höchstrichterlich eine Entscheidung fällen. Damit wäre frühestens 2012 zu rechnen.

Die Fragen stellte Florian Staeck.

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Kommentare
Dr. Fritz Gorzny 12.04.201116:55 Uhr

Novartis läßt den Azneimitteltopf der Ophthalmologen ausbluten

Es ist schier unglaublich wie Novartis ausschließlich aus Gewinnsucht die Medikamentenkosten in der Ophthalologie explodieren läßt. Dabei nutzt die Firma ihre Marktstellung bezüglich der angeblich einzig therapeutischen Wirksamkeit von Lucentis, die keineswegs evidenzbasiert gesichert ist schamlos aus und hat ein perfides System entwickelt , wie Patienten ihre Krankenkasse zur Kostenübernahme erpressen können. Jetzt wurde die Indikation -ebenfalls ohne Evidenzbasierung - auch noch auf die Retinopathia diabetika mit zentralen Blutungen ausgeweitet. Die Horrorkosten laufen weiter, die Aktionäre freuts, da Novartis sein operatves Ergebnis milliardenschwer erhöht hat zu Lasten des normalen Kassenpatienten, dessen Beiträge schlicht steigen werden. Ob das die Obersten Richter genau wußten und dann mitverantworten wollten?
Die operativ tätigen Ophthalmologen freuts, die verdienen gut an jeder Spritze. Auch hier blutet das Budget zu lasten der konservativ tätigen Ophthalmologen aus , sodaß z.B. für die Versorgung in der Kinderophthalmologie keine Ressourcen mehr vorhanden sind. Ein Trauerspiel.

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