"Es geht um die Würde des Menschen!"

Das ist bei der Berliner Großdemonstration am vergangenen Donnerstag in erschreckender Weise deutlich geworden: Viele junge Menschen werden in Gesundheitsberufen sehr schnell grenzenlos desillusioniert.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Kämpfen am Brandenburger Tor in erster Reihe für ihre Zukunft: Pflegeschülerinnen.

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© Foto: Bauchspieß

Der Marsch der 130 000 Demonstranten zum Brandenburger Tor war am Donnerstag noch längst nicht abgeschlossen, da ging eine Berliner Schwesternschülerin ans Mikrofon - mit einer bemerkenswerten Botschaft.

Der Beruf als Krankenschwester sei ihr Berufung, sagte sie, "genau deshalb habe ich mit dieser Ausbildung begonnen". Ihr Anspruch lasse sich allerdings im Berufsalltag kaum realisieren.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar", zitierte sie den ersten Artikel des Grundgesetzes. "Ich finde es schade, dass wir diesen Artikel brechen - und das jeden Tag neu." Gebrochen werde nicht nur die Würde der Patienten, sondern auch die der Pfleger.

Eine radikale Einzelstimme? Bei der Berliner Großdemonstration waren sie nicht zu übersehen und schon gar nicht zu überhören: Zig Tausende junger Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten möchten, weil es ihnen Freude macht, kranken Menschen zu helfen. Lebenslust war zu spüren am Brandenburger Tor, Spontaneität und Leistungsbereitschaft, aber auch grenzenloser Frust mit Blick auf den Arbeitsalltag. Ein Happening in der Hauptstadt? "Schön wär's: Es gibt angenehmere Dinge, als bis zu 20 Stunden auf den Beinen zu sein, um hier in Berlin Flagge zu zeigen", sagte ein Pflegeschüler aus Süddeutschland. "Aber man muss dieses Zeichen setzen. Wir haben sonst keine Chance!"

Verdi-Chef Frank Bsirske hatte in seiner Rede aus dem Brief eines Pflegers zitiert, der Politiker aufforderte einfach mal mitzugehen bei seiner täglichen Arbeit - "sterbende Menschen versorgen, Ausscheidungen entsorgen, Patienten von Exkrementen aller Art befreien, unzufriedene Angehörige bändigen, enttäuschte oder akut gefährdete Patienten beschwichtigen".

"Das alles machen wir gerne, wenn die Zeit stimmt, wenn die Bezahlung stimmt, und wenn auch die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind", sagte der Pflegeschüler.

"Wir wissen, dass niemand volle Leistung bringen kann, wenn er chronisch übermüdet ist, wenn seine Übermüdung im Dienstplan quasi eingeplant ist", stellte Frank Stöhr, Chef der ddb-Tarifunion auf dem Podium klar. "Und wir wissen auch", ergänzte er, "dass gerade Ärzte und das Pflegepersonal für ihre lebenswichtige Arbeit vernünftige Arbeitszeiten und eine gerechte Bezahlung brauchen".

Vehement wiesen Redner und Demonstranten Vorwürfe zurück, bei der Kundgebung handele es sich um eine Lobby-Veranstaltung. "Wir sind keine Egoisten, die nichts anderes im Sinn haben als ihr eigenes Interesse, wir kämpfen für andere, die durch ihre Krankheit zu sehr in Anspruch genommen sind, um hier zu sein. Wir kämpfen für unsere Patienten und für deren Wohl", sagte der Chef des Marburger Bunds Rudolf Henke - und bekam dafür auch von den Jung-Pflegern donnernden Applaus.

Die Demo von Berlin hat ein bemerkenswertes Signal über Befindlichkeiten von Menschen gesendet, die in einer älter werdenden Gesellschaft Verantwortung für Kranke und Pflegebedürftige übernehmen wollen. "Diese jungen Menschen sollen uns Alte später mal pflegen", sagte ein Berliner Taxifahrer, als am Brandenburger Tor der große Abmarsch begann. "Mir graust bei dem Gedanken, dass sie vorher massenweise in andere Berufe flüchten."

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