Stellungnahme

Ethikrat fordert Mindestmaß an Kontakten in Pflegeheimen trotz Corona

Heimbewohner gehören zu den vulnerablen Gruppen in der Pandemie. Zugleich sind sie besonders auf Kontakte angewiesen. Der Ethikrat hat nun Empfehlungen vorgelegt, wie Einrichtungen den Spagat meistern können.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Während des ersten Lockdowns haben Bewohner von Pflegeheimen vergeblich nach Besuch Ausschau gehalten. (Symbolbild)

Während des ersten Lockdowns haben Bewohner von Pflegeheimen vergeblich nach Besuch Ausschau gehalten. (Symbolbild)

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Berlin. Der Deutsche Ethikrat hat zu mehr Unterstützung für Pflegeheime und Pflegedienste in der Corona-Pandemie aufgerufen. Einrichtungen der Langzeitpflege seien dringend auf zusätzliche personelle Ressourcen angewiesen. Nur dann könnten sie ein Mindestmaß an sozialen Kontakten für die zu Pflegenden sicherstellen und diese zugleich vor einer Infektion schützen, machte die Vorsitzende des Ethikrats, Professor Alena Buyx, bei der Vorstellung einer Ad-hoc-Stellungnahme am Freitag deutlich.

Viele Heimbewohner stürben „in Einsamkeit, häufig getrennt von An- und Zugehörigen“, sagte der Heidelberger Gerontologe und Mitautor der Stellungnahme, Professor Andreas Kruse. „Diese auch für Mitarbeiter hochgradig bedrückende Situation muss als Aufruf an die Gesellschaft verstanden werden.“

Dass Politik und Gesellschaft der Pflege in der Vergangenheit nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hätten, die sie verdient habe, „schlägt uns in Zeiten der Corona-Pandemie geradezu entgegen“, kritisierte Kruse.

„Die Langzeitpflege stellt einen besonderen ethischen Brennpunkt in dieser Pandemie dar“, betonte Buyx. Heimbewohner trügen ein sehr hohes Risiko, an COVID-19 zu versterben. Zugleich seien sie besonders von Kontaktbeschränkungen betroffen. Das „Gebot physischer Distanz“ gehöre zu den wichtigsten Schutzmaßnahmen in der Pandemie. In der Langzeitpflege wachse dadurch aber die „Gefahr von Isolation, verringerter sozialer Teilnahme und einer erheblichen Verschlechterung der Gesundheit“ der zu Pflegenden.

Gesetzgeber hat Lücke hinterlassen

Der Gesetzgeber schreibe mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes zwar vor, dass in Alten- und Pflegeheimen ein Mindestmaß an sozialen Kontakten gewährleistet sein müsse, sagte Buyx. Es bleibe aber offen, worin das erforderliche Mindestmaß an Kontakten bestehe und wie es in „extremen pandemischen Notlagen“ sichergestellt werden könne. Mit der Stellungnahme wolle der Ethikrat diese Lücke schließen.

In seiner Empfehlung fordert das Gremium, bei der Bestimmung des Mindestmaßes sozialer Kontakte weniger deren Anzahl als vielmehr deren „Qualität“ in den Blick zu nehmen. Dazu sei individuell zu beantworten, welche Beschränkungen sich wie auf die Lebensqualität des Bewohners auswirkten. Wo immer möglich, sollten die Heimbewohner selbst über die Auswahl ihrer Kontaktpersonen entscheiden können. Auch sollten verstärkt Formen „virtuellen Kontakts“ ermöglicht werden. Dies sei aber nur als Ergänzung, nicht als Ersatz zwischenmenschlicher Kontakte zu verstehen.

Aktivierungsangebote aufrechterhalten!

Mit Blick auf Kontaktmöglichkeiten in den Einrichtungen seien Angebote zur körperlichen, kognitiven und kommunikativen Aktivierung der Bewohner auch in der Pandemie aufrechtzuerhalten, forderte Kruse. „Auf solche Angebote darf keinesfalls verzichtet werden.“ Dabei könnten auch frühere Mitarbeiter, Medizinstudierende und Ehrenamtliche helfen. „Die Besoldung muss über die Pflegeversicherung erfolgen, denn Aktivierung ist ein zentrales Leistungselement der Pflegeversicherung.“

„Soziale Isolierung verunmöglicht oder erschwert zumindest ein würdevolles Leben“, warnte Ethikrats-Mitglied Professor Andreas Lob-Hüdepohl. Sehr bedrückend sei die Situation von Sterbenden. „Einsam und isoliert sterben zu müssen, ist schlicht unerträglich – sowohl für Sterbende wie auch An- und Zugehörige.“ Das Mindestmaß an Kontakten dürfe daher nicht nur gesetzlich festgeschrieben sein. „Es muss in der Praxis auch substanziell gewährleistet werden.“

Den Mitgliedern des Ethikrates sei bewusst, dass Mitarbeiter in Pflegeheimen „schon heute extremen Belastungen“ ausgesetzt seien, so Lob-Hüdepohl. Kontaktverbote seien daher „keine Disziplinierungsmaßnahmen herzloser Einrichtungsleitungen“. Sie seien oft „Ausdruck höchster Not, um schwerwiegende und tödliche Krankheitsausbrüche in der Langzeitpflege zu verhindern“.

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