GKV und PKV beharken sich über Wartefrist für Wechsler
Gesetzliche Kassen warnen vor einer Abwanderungswelle gutverdienender GKV-Versicherter in die PKV. Sie fürchten Einnahmeverluste von bis zu 500 Millionen Euro im Jahr. Die Privatassekuranzen sehen das anders: Diese Zahlen hätten "nichts mit der Wirklichkeit zu tun".
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Privatrezept - GKV-Versicherte sollen künftig wieder nach einem Jahr Wartezeit in die PKV wechseln können.
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BERLIN (fst). Wer als gesetzlich Krankenversicherter in die PKV wechseln will, muss bisher drei Jahre ein Monatseinkommen über der Versicherungspflichtgrenze von 4162,50 Euro erzielen. Die Bundesregierung will die seit 2007 bestehende Regelung ändern und die Wartefrist auf ein Jahr verkürzen. Im Entwurf des GKV-Finanzierungsgesetzes werden die GKV-Einbußen der schnelleren Abwanderung zur PKV mit 200 Millionen Euro im Jahr angegeben - zu wenig, warnt die Techniker Krankenkasse, die einen überdurchschnittlichen Anteil freiwillig Versicherter in ihren Reihen hat. Die Ersatzkassen haben rund 900 000 freiwillig Versicherte, GKV-weit sind es etwa 4,5 Millionen.
Die Privatassekuranz ist 2007 durch die verlängerte Wartezeit empfindlich in ihrem Neugeschäft getroffen worden. Der Nettoneuzugang in der PKV-Vollversicherung schrumpfte laut PKV-Zahlenbericht von 116 000 (2006) auf 59 900 Personen (2007). Als Grund wird angegeben: das seit Februar 2007 geltende dreijährige Wartemoratorium für Arbeitnehmer. Auch die (Brutto-)Zahl der Neuzugänge zur PKV brach von 284 700 (2006) auf 233 700 (2007) ein. Im Jahr 2008 gelten von den netto rund 93 000 Neuzugängen zur PKV nur die Hälfte als "echte" Wechsler von der GKV. Die andere Hälfte geht auf Sondereffekte wie beispielsweise die seitdem bestehende Krankenversicherungspflicht zurück.
Zuletzt sind im Saldo jährlich etwa 50 000 GKV-Versicherte in eine private Krankenversicherung gewechselt. Die Techniker Kasse fürchtet 2011 als Folge der geplanten Rechtsänderung eine Wechselwelle von bis zu 110 000 GKV-Versicherten. Das würde nach Angaben des Ersatzkassenverbands vdek die gesetzlichen Kassen mit "weit über 500 Millionen Euro" belasten. In den Folgejahren, also ab 2012, würden jährlich 55 000 Versicherte zur PKV wandern, von denen jeder einen positiven Deckungsbeitrag von etwa 6000 Euro zur Privatassekuranz mitnimmt, rechnet der vdek vor. 300 Millionen Euro gingen der GKV Jahr für Jahr auf diesem Wege verloren.
Längere Wartefrist bescherte der PKV einen Einbruch – Wanderungsbewegung zwischen GKV und Privatassekuranz
2006 | 2007 | 2008 | 2009 | |
Neuzugänge zur PKV |
284.700 | 233.700 | 244.900 | 279.800 |
Abgänge zur GKV |
143.900 | 154.700 | 151.000 | 145.300 |
Differenz | 140.800 | 79.000 | 93.900 | 134.500 |
Tabelle: Ärzte Zeitung Quelle: PKV-Zahlenberichte |
Aus Sicht des PKV-Verbands haben diese Zahlen "nichts mit der Wirklichkeit zu tun", sie rechnet mit Mindereinnahmen von rund 78 Millionen Euro für die GKV. Aber auch das sei "nur eine Augenblicksbetrachtung", so der PKV-Verband. Zur Begründung führt er an, der Wechsel in die PKV entlaste langfristig die gesetzlichen Kassen: Die Wechsler seien bis zum Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze überwiegend jung und gesund und verbrächten "dann die teure Zeit des mittleren und höheren Lebensalters in der PKV.
Dieser Sichtweise widerspricht Dr. Klaus Jacobs, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO): "Dass die Wechsler zur PKV überwiegend jung und gesund sind, ergibt sich aus den Vertragsbedingungen der privaten Versicherungsunternehmen. Es handelt sich überwiegend um ‚gesunde Singles‘ - da muss man nicht viel die empirische Forschung bemühen", sagte Jacobs der "Ärzte Zeitung".
Er sieht in der geplanten Einjahres-Frist "ein Geschenk der Regierungskoalition an die ihr nahestehende PKV".